Die Schweine

Sie sind einfach nur perfekte Maschinen eines kalten und unreflektierten Selbstzwecks.

Mit über vier Monaten Verzug ist jetzt doch noch ein Zettel über 225 Euro Abschleppkosten eingetroffen. Dabei hatten wir uns langsam schon Hoffnung gemacht, dass uns unerwartet Anstand, Kulanz und Augenmaß entgegengebracht würde. Doch natürlich kennen der Staat und seine Häscher keine Gnade. Diese Sachwalter der Destruktion haben kein Herz und vermögen nicht eigenständig zu denken. Sie sind einfach nur perfekte Maschinen eines kalten und unreflektierten Selbstzwecks; unerbittlich wie die Eule, die mit starrem Blick ihre Krallen in das Katzenjunge schlägt, das nachts vor der verschlossenen Türe maunzt. Dann ist es still. Drinnen in ihrem Bettchen wartet die kleine Lieselotte vergeblich aufs geliebte Kätzchen. Das kömmt nun nimmermehr. Tränennass das Kissen. Vor dem Eulenhorst liegt Gewölle. Haare, Knochen und das Halsband mit dem Silberglöckchen. Trauer und Verzweiflung. Aaskäfer. Polizei. Telefon. Man hat unser liebes, kleines Auto abgeschleppt.

Schuld ist natürlich das Team von PandemiX Film. Wie kann man denn bitte mitten im dicksten Januar-Lockdown mobile Halteverbotsschilder am Spreeufer aufstellen lassen? Nur um in dieser Zeit einen Film zu drehen, auf dem zum millionsten Mal – wie originell – die Oberbaumbrücke zu sehen ist. Dafür, dass verantwortungsvolle Menschen auf dem Peak der Pandemie nicht unnötig rausgehen und rumfahren, bestrafen die perfiden Schweine sie auch noch, indem sie ihnen unbemerkt die Karre abschleppen lassen. Wer macht so etwas, was sind das für Leute, das ist doch krank? Schon im Januar hätte ich es daher wissen müssen: Filmschaffende und Corona – das ist wie König Midas und sein Gold: bei aller Anziehungskraft kein so richtig glückliches Händchen.

Wie ich die Schweine hasse! Nacht für Nacht wälze ich mich seit jenem Tag im Januar stöhnend im stinkend heißen Sud meines ohnmächtigen Zorns und sinne auf Rache.

Ihr alle dort draußen könntet mir einen ganz großen persönlichen Gefallen tun: Seht den Film, der dort gedreht wurde, bitte niemals und unter gar keinen Umständen an! Und auch keinen anderen unter Beteiligung von PandemiX Film. Ich will, dass diese Produktion im gesamten Weltall nie wieder auch nur einen kleinen Zeh auf den Boden bringt. Ich habe mir ihre völlige Vernichtung zur alleinigen Lebensaufgabe gemacht, und an dem Tag, an dem dieser Saftladen endlich pleite geht, werde ich auf dem Bürgersteig vor dem Insolvenzgericht tanzen, singen und nackig mit Champagnerkorken knallen. Dazu lade ich euch alle ein, die komplette Weltbevölkerung, versprochen! Also bei jedem deutschen Film immer erst checken: Produktionsfirma? Ah, PandemiX Film. Bitte bloß nicht angucken, boykottiert die Schweine! Danke.

Jetzt, da die dritte Welle abzuflauen scheint, lasse ich die ersten beiden noch einmal Revue passieren. Bei der ersten war man noch so merkwürdig motiviert. Heute fragt man sich verwundert: motiviert, wozu, um Gottes Willen? Viele wirkten fast stolz, bei diesem neuen, großen Ding mit dabei sein zu dürfen: Mondlandung, 9/11, Pandemie. Alles war wie ein Spiel, wenn auch kein schönes. Masken und Desinfektionsmittel waren das Spielzeug. Die Regeln waren komisch. Man wusste nichts. Vielleicht wäre im Mai schon wieder alles überstanden, oder wir wären alle tot? Keine Ahnung. Das war schon spannend.

Bereits die zweite Welle war dann nur noch nervig. Corona im Winter ist eine Schnapsidee. Wer kommt denn auf so was? Da kann man ja gar nicht draußen sitzen. Dazu kommen Sorgen, Frust und Verdienstausfälle – die Schikanen der Filmfuzzis hätte es da nicht auch noch zusätzlich gebraucht.

Crazy Circe

Deshalb soll hier und heute das gute Buch gepriesen werden.

Die Kulturorte sind alle dicht wie Schauspieler am Ende der Premierenfeier. So bleibt uns Kulturhäschen in Pandemiezeiten meist nur Stillbeschäftigung. Die eine oder andere Veranstaltung kann man zwar noch streamen, aber das ist wie Saufen vor verschlossener Kneipe, allein, aus einer leeren Flasche. Deshalb soll hier und heute das gute Buch gepriesen werden, genossen auf dem guten Sofa zu einer guten Schnitte Brot mit guter Butter.

Doch beginnen wir mit dem Lieblingsbuch für Buchstabenmuffel: der Fernsehserie. Seit Beginn der Seuche habe ich so viele Serien gestreamt, dass ich mich hier auf meine absoluten Highlights beschränke. Da wäre zum einen „Killing Eve“ (Amazon STARZPLAY): Drei tolle Hauptprotagonistinnen aus drei Generationen, und ein grimmig gutgelaunter Parforceritt in bislang drei Staffeln mit teils cartoonesker Brutalität irgendwo im verminten Niemandsland zwischen Nordic Noir, Splatter und Quentin Tarantino. Saulustig ist auch die norwegische Wikingerparodie „Norsemen“ (Netflix; am besten in der englischsprachigen Version mit norwegischem Akzent!), die ihre eigenen Tabubrüche immer gleich selbst in einer für das Jahr 790 bizarr modernen Weise metaverhandelt – bester Beweis dafür, dass man auch daraus, was in Deutschland oft nur hilflos als „Zwang zur politischen Korrektheit“ beheult wird, skurrilsten Humor ohne reaktionäres Lamento zaubern kann.

Gleich vier lange Staffeln hat mein Überraschungssieger in der Kategorie „Ulis Coronaserien“, die genialisch bescheuerte Comedy „Crazy Ex-Girlfriend“ (Netflix). Überraschung deshalb, weil die Machart durchaus Sitcom und Musical streift – beides Genres, die ich gewöhnlich meide wie der Teufel das Weihwasser. Goethe liest ja auch keine Micky-Maus-Hefte. Doch die Erklärung ist einfach: Die Hauptakteurin Rachel Bloom ist die komischste Frau der Welt. Stopp, ich korrigiere – das grundlose Othering wirkt hier sonst so, als hätte mal wieder nur das arglistige Fatum eines opportunistischen Zeitgeists uns Grandseigneure der Brüllkomik zugunsten semitalentierter Gören undekoriert gelassen: Sie ist auf jeden Fall der komischste Mensch (m/w/d) der Welt. Das haben mir die 62 Folgen dieser auch feministischen, auch diversen, vor allem aber megawitzigen Serie mit dem Schaumstoffhammer eingeprügelt: Blam!

Doch es geht auch ohne teure Streamingdienste. Mein Favorit im Angebot der öffentlich-rechtlichen Mediatheken stammt ebenfalls aus Norwegen: die superoriginelle Serie „Beforeigners“ (ARD; dort leider nur synchronisiert). Eine weitere Empfehlung gilt der englischen Feelgood-Serie „Detectorists“ (Arte; OmU), herzerwärmend wie ein warmes Pint im Pub, und niedlich wie ein beim Bad in einer Müslischüssel am Bauch gekrabbeltes Igelbaby (Youtube).

Wem das alles noch nicht reicht, die kann sich auch die kubikmetergroße DVD-Box mit sämtlichen Staffeln von Edgar Reitz‘ „Heimat“ von 1984 bestellen. Die Serie ist gut gealtert, gerade in ihrer postmodernen, urlangsamen Carlos Reygadas-Erzählweise, womit man nun fast schon wieder bei den echten Büchern wäre, denn Lesen ist tatsächlich etwas anspruchsvoller. So kann man nicht mitten im Buch Bier aus der Küche holen oder aufs Klo bringen, während sich das Buch von alleine weiterliest. Blöd.

Dennoch habe ich auch viel gelesen. Manches ging bei einem Auge rein, beim anderen raus. Anderes blieb drinne. So kann ich mich aus der la main erinnern an Juan Moreno, Emilia Smechowski, Johannes Ehrmann (alle eher Sachbuch), Ocean Vuong, Stefanie Sargnagel, Dirk Stermann, Anke Stelling, Rafael Horzon, Paula Irmschler, Leo Tolstoi, David Niven, Ella Carina Werner und Leif Randt: Bei euch bedanke ich mich, dass ihr meine Tränen der Lockdownlangeweile getrocknet und mit der Brechstange eurer Worte meinen amöbenhaften Horizont erweitert habt – ihr seid schnafte Herzchen! Was Randts „Allegro Pastell“ betrifft, hoffe ich jedoch für ihn und mich, dass es sich bei seinen Charakteren, die seltsam steril wirken wie Androiden in einer Versuchsanordnung, die das echte Leben nur so fakt, auch wirklich um das von mir vermutete Stilmittel handelt.

Meine klare Nummer eins in Büchern ist ohnehin „Circe“ von Madeline Miller. Wie in „Crazy Ex-Girlfriend“ gibt es eine schräge Heldin. Und auch hier bin ich zwar zweifellos zu faul und zu doof, um zu beschreiben, worum es überhaupt geht, so plotwise, vor allem aber würde jeder technokratische Erklärungsansatz dem tieferen Grund meiner Begeisterung nicht gerecht; also recherchiert halt im fähigeren Feuilleton oder lest besser gleich den Roman.

Wer möchte, mag in meiner Auswahl den halbgebildeten Hang zum schlichten, aber niemals schnöden Wort erkennen. Und natürlich kann man auch Livestreams gucken. Stücke aus dem Maxim-Gorki-Theater zum Beispiel. Oder eine Show von Fil. Man kann es aber auch bleiben lassen, denn ohne Publikum wirkt dieser nach Rachel Bloom komischste Mensch der Welt ungewohnt lost. So als hätten ihn Entführer auf eine Bühne gezwungen, um ein Erpresservideo zu drehen – da fehlt nur noch das Schild um den Hals: „Seit 520 Tagen Gefangener des RKI“.

Dasselbe – und hier komme ich nun endlich zu mir – muss man erst recht über die Livestreams der Berliner Lesebühnen sagen, denn das Format ist ohne den Geruch von Bier und das Klirren der von ekstatisch schurrenden Füßen umgestoßenen Flaschen eigentlich nicht lebensfähig. Wir ziehen die Sache trotzdem durch wie der Volkssturm – die „Brauseboys“, die „Reformbühne Heim & Welt“ sowie „LSD – Liebe statt Drogen“ –, eben weil wir bockige alte Kleinkünstler sind. Es hat schon etwas Wahnhaftes, wir machen das im Grunde nur noch für uns selbst. Manchmal verfolgen gerade mal acht Leute unseren Stream, und in Wahrheit sind es sogar nur sieben, weil ich auf meinem Smartphone zur Kontrolle mitgucke. Doch das sage ich den Kollegen nicht, damit sie nicht noch trauriger werden. The show must go on – warum, weiß ich allerdings oft selbst nicht mehr.

Ein Lob der Spaltung

Außerdem war die Gesellschaft doch schon immer tief gespalten.

Es ist jeden Morgen dasselbe. Kaum blättere ich die ersten Seiten des Internets auf, schlägt mir lautes Gebrüll entgegen. Pandemie ist nur ein anderes Wort für: Alle hassen alle. Es wird nie wieder so werden, wie es mal war. Ich bin mir sicher, träfe eines Tages der zum Glück nur theoretische Fall ein, dass wir uns wieder leibhaftig in der Kneipe gegenüber säßen, gäbe es auf der Stelle Mord und Totschlag.

Friends, die einander dann über ein Jahr lang gegenseitig als „wichsende Internettrolle“ bezeichnet hätten – und das sind noch diejenigen, die sich gut verstehen – sollen jetzt auf einmal wieder ruhig miteinander reden? Im selben Raum, ohne Polizei, trennende Gitterstäbe oder den wenigstens vor physischer Versehrung schützenden Mantel der Virtualität? Das ist, als würde man eine Gang tollwütiger Wiesel erst an den Schwänzen anzünden, und dann zusammen in einen winzigen Käfig sperren.

Dennoch hört und liest man nun oft denselben windelweichen Quatsch: Man solle mehr aufeinander zu gehen, bitteschön recht zackig die Versöhnung suchen und die Gesellschaft nicht noch weiter spalten.

Höre ich dieses „Aufeinander zu gehen“, sehe ich vor meinem geistigen Auge immer nur zwei Horden, die mit Sensen und Dreschflegeln bewaffnet in einer riesigen Staubwolke aufeinander losstürmen. Da möchte ich weder im Weg stehen, noch auch nur einer dieser beiden Horden angehören.

Und die Versöhnung? Oft tauschen sich nun „die Anderen“ (Arbeitstitel) darüber aus, dass man ja nach jener kriminell hochgejazzten Scheingrippe nicht nur die „Verantwortlichen bestrafen“ – und damit meinen sie nicht diejenigen, deren Opportunismus Menschenleben kostet und paradoxerweise die so doch angeblich geschützte Wirtschaft noch gleich mit ruiniert –, sondern leider auch noch uns Schlafschafen um des lieben Friedens Willen ein „Versöhnungsangebot“ unterbreiten müsse.

Zu gütige, liebe Andere, danke. Aber ich scheiße auf euer Angebot. Erst mir in die Fresse schlagen und mir dann dieselbe Hand entgegenstrecken, damit ich mich bei euch für eure Blödheit entschuldigen kann? Bleibt schön, wo ihr seid. Steckt mich nicht an.

Was haben die Leute bloß immer gegen eine Spaltung der Gesellschaft? Ich will mit denen so wenig zu tun haben wie sie mit mir – die Argumente sind zur Genüge ausgetauscht. Eine lange und unergiebige Zeit des Sprechens ist beendet, nun beginnt die goldene Zeit des Schweigens. Außerdem war die Gesellschaft doch schon immer tief gespalten. Die sozialen Medien machen das jetzt nur sichtbarer – in meinen Augen sogar ihre einzige konstruktive Leistung, außer der niedlichen Zwergotterfamilie, der man beim Fressen zusehen kann. Denn früher wurden die schlimmsten Gräben einfach stillschweigend akzeptiert – sie fielen nur deshalb kaum auf, weil sie keiner thematisierte. Marginalisierte konnten sich schlechter vernetzen, und merkten oft nicht, wie viele sie eigentlich waren. Die Kehrseite der Medaille: Dieselben Medien sind natürlich auch den Anderen Tummelplatz, Echokammer und Gummizelle in Einem.

Alles in allem wäre eine saubere Spaltung hier doch endlich einmal sinnvoll. Gerade für den besagten Frieden wäre es schlicht am besten, man hielte getrennt, was ohnehin nicht zusammengehört. Das wäre Vanillepudding für die Seele, ein warmer Strickpulli für die Nerven, ein Wolfszaun für uns Schlafschafe: Hier die Einen, dort die Anderen und jeder macht in Ruhe sein schwachsinniges, kleines Ding. Eintracht in Zwietracht. Genau darin liegt das ungeheure Potential der Spaltung, ihre heilende Wirkung auf die Gesellschaft, indem man separiert, was zusammen nicht mehr funktioniert – in der Chirurgie heißt das Amputation: keine schöne Sache, aber manchmal lebensrettend.

Künstliche Höhepunkte

Doch selbst im größten Dunkel kommt meist von irgendwoher noch ein kleines Licht.

Es ist manchmal schon deprimierend. Zwar gibt es immer was zu tun, aber es ist halt auch immer dasselbe. Den Staubsauger in seiner Ecke scharf anzublicken. Die CD-Sammlung nicht zu sortieren. Schläfchen auf dem Sofa zu halten. Kein Brot zu backen. Einen Metatext darüber zu schreiben, was alles nicht passiert. Auf dem einen Friedhof mit X spazieren zu gehen, auf dem anderen Friedhof mit Y, Hauptgesprächsthemen: nix los, nix zu tun und nix zu wollen.

Es gibt Tage, da mich das alles zermürbt, obwohl es mir während der Pandemie ja vergleichsweise gut geht. Eigentlich darf ich gar nicht jammern. Andere sind alleinerziehend, Barbesitzer, oder haben Granatensplitter im Unterleib. Nur die haben die Lizenz zum Jammern. Die Jammerkapazitäten sind nun mal beschränkt, und stimmungsmäßig mal ein bisschen durchzuhängen, gilt nicht als anerkannter Jammergrund. An dieser Stelle kommt in Deutschland stets verlässlich der alte Nazi-Appell, man soll sich doch mal „zusammenreißen“. Ein deutsches Mädel weint nicht.

Die Aufreger fehlen halt, die positiven wie die negativen. Doch zum Glück habe ich ein Rezept gefunden, meine persönliche „Excite-Strategie“: Bewusst kreiere ich eine Reihe von Events, künstlich aufgebauschte Eckpunkte in meinem Lockdownleben, an denen entlang ich mich durch die gegenwärtige Ödnis hangle. So zum Beispiel die Nabu-Wahl zum Vogel des Jahres. Natürlich hatte ich längst gewählt, die Blaumeise, die Königin der Hecke bei den Mülltonnen, wen auch sonst. Doch bis zur Verkündung des amtlichen Endergebnisses machte ich fleißig Stimmung gegen all die anderen Vögel – eine Superbeschäftigungstherapie: Wutsmileys, die Konkurrenz verächtlich machende Hetzkommentare, vor allem unter das Rotkehlchen, denn irgendein Algorithmus spülte mir den kleinen Cocksucker immer wieder in die Timeline. Was soll das?

Natürlich hätte man sich auch auf einen ungeliebten Kandidaten einigen können, um mit konzertierter Kraft wenigstens die Wahl der Stadttaube zu verhindern, so wie man in Frankreich Macron als kleineres Übel gegen die Rechtsradikalen gewählt hat. Aber nicht mit mir. Was will ich mit dem neoliberalen Rotkehlchen Macron? Conquer or die, Blaumeise oder Untergang. Dass der alerte Betrügervogel, dieses Devotkehlchen, ein aufgeplustertes, opportunistisches Nichts aus Federn, Luft und Lüge, am Ende auch gewann, ist ausschließlich die Schuld seiner Wähler, die diese auf immer ungesühnt mit ins Grab nehmen werden.

Ein weiteres Element meines Excitement-Parcours sollte das angekündigte Interview der abtrünnigen Royals Meghan und Harry bei der US-Talktante Oprah Winfrey sein. Was die wohl erzählen würden? „Die Queen ist voll die Pfeife, der Palast stinkt …“, huiuiui, in gehässiger Vorfreude rieb ich mir die Hände. Ich bin zwar nicht der große Klatschonkel, aber tief in mir drin wohnt eben doch ein kleines Arschloch, das mit Gossip gefüttert werden möchte … kein schönes Bild, aber dafür immerhin schief.

Wochenlang fieberte ich der Nacht des Interviews entgegen. Ich wollte mir sogar den Wecker stellen wie für so einen geboosteten Schwergewichtskampf – in Zaire, früh um Vier. Meghan und Harry gegen das Haus Windsor. Leider kam das Ganze nicht auf Kika, sondern nur bei CBS und das kriegte ich nicht rein. Die Enttäuschung war so groß, dass sie mich wohl zwei Tage heftig fiebernd aufs Lager warf.

Doch selbst im größten Dunkel kommt meist von irgendwoher noch ein kleines Licht. Als begleitendes Standardzerstreuungsprogramm habe ich zum Glück noch ein paar Arztbesuche vereinbart. So schlage ich auch zwei Fliegen mit einer Klappe. Ich habe nämlich das Gefühl, zunehmend aus dem Leim zu gehen, obwohl (oder vielleicht auch weil?) ich zurzeit notgedrungen recht gesund lebe – wenig Stress plus wenig Spaß macht wenig Alk und Nikotin. Das krönende Schlussfeuerwerk der gesammelten Arztbesuche soll übrigens eine echte Darmspiegelung bilden (ein Glück, dass die Gastro wenigstens noch geöffnet hat). Das wird sicher sehr schön, zumindest jedoch unterhaltsam. Und das ist es schließlich, worauf es mir in diesen Zeiten ankommt.

Und ewig weinen die Schweine

„Dann sperre ich die Schweine eben unten im Fahrradkeller ein …“

Drei Jahre ist Julia Klöckner nun Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft. Da wird es doch langsam Zeit für eine kleine Bilanz: Wie hat die Gegnerin der gleichgeschlechtlichen Ehe, die die Klimakrise für eine Modeerscheinung hält, dem Amt seitdem ihren Stempel aufgedrückt?

Auffällig ist ihr Faible für Umweltgifte, die Wasserhehler von Nestlé und toughe Landwirte. Was sie jedoch auf den Tod nicht leiden kann, sind ganz offensichtlich Schweine. Auf die hat sie es aber mal so was von abgesehen; das zieht sich wie ein blutigroter Faden durch ihre gesamte bisherige Amtszeit: Ob artfremde Haltung oder Ferkelkastration – so richtig hygge wird ihr erst beim Schweinequälen. Als die gesammelte Schweineschar im März 2018 erfuhr, wer fortan ihre Nemesis und oberste Dienstherrin sein würde, scholl ein entsetztes Quieken durch die Ställe von Schweinfurt bis Eberswalde.

Doch woher kommt überhaupt Julia Klöckners unbändiger Hass auf Schweine? Das ist doch nicht normal, dieser alles verzehrende Hass, der ihr Leben in einem Maße bestimmt, dass davon jede andere Lebensäußerung komplett zugeschüttet wird. Das gilt sogar für die Grundtriebe. Nicht selten müssen ihre Mitarbeiter sie ermahnen, das Atmen nicht zu vergessen, so ausschließlich absorbiert sie ihr obsessiver Schweinehass. Auch für Körperpflege, Sozialverhalten, Sexualtrieb sind keinerlei emotionale, geistige und zeitliche Kapazitäten mehr übrig. Im Fall der Nahrungsaufnahme funktioniert noch am ehesten der Trick, sie daran zu erinnern, dass sie hier ja immerhin ein totes Schwein vernichtet, um ihr auf dem Sprung zwischen Büro und Bundestag mal eben eine Bifi unterzujubeln. In Ausnahmefällen kann das auch zu Übersprungshandlungen führen, in deren Rahmen Klöckner rasend schnell mehrere Kilo Schweinefleisch verschlingt, um diese später unter lauten Flüchen („verfickte Schweine!“) wieder zu erbrechen.

Letztlich lassen sich die Ursachen wie so oft in der Kindheit verorten. In freudiger Erwartung des heiligen Sakraments eilte die achtjährige Julia am Morgen ihrer Erstkommunion fromm den elterlichen Weinberg hinab und auf die malerische kleine Dorfkirche von Guldental zu, als sie stolperte und – batsch! – mit dem blütenweißen Festtagskleidchen mitten in einem Haufen Schweinescheiße landete. Der Tag war verdorben, den späteren Gottesdienst würde das Mädchen notgedrungen im Blaumann ihres Großvaters verfolgen müssen. Wer nun jedoch erwartet hätte, das Kind wäre altersgemäß in Tränen ausgebrochen, sah sich auf erschreckende Weise eines besseren belehrt. Es schüttelte vielmehr drohend die kleinen Fäustchen gen den jäh sich verfinsternden Himmel und schwor mit lauter Stimme, es „diesen Schweinen so richtig zu zeigen – bis an mein Lebensende und so wahr mir Gott helfe!“ In der Ferne zuckten Blitze. Augenzeugen berichten von einer Aura aus Flammen um den Kopf des Mädchens herum sowie von beißendem Schwefelgeruch.

Doch es kam noch schlimmer: Bei einem Ausflug in den Pfälzer Wald wurde ihre liebste Spielkameradin Babsi (B.Z.: „Sie war erst vierzehn!“) von einem wilden Keiler getötet und auf der Stelle aufgefressen. Hinter einem Baum versteckt musste die kleine Julia alles ohnmächtig mitansehen. Die feixende Miene des fiesen Schweins würde sie niemals vergessen.

Angesichts dieser prägenden Vorkommnisse ist es kein Wunder, dass der wiederholte Anwurf ihrer Mutter, doch bitte ihren „Saustall aufzuräumen“, das Kind auf unverantwortliche Weise triggerte und die Traumata stets aufs neue reproduzierte. Sein Herz erkaltete zunehmend, nur ganz tief drinnen loderte brennendheiß der Schweinehass.

Spätestens jetzt beginnen wir zu verstehen, warum Klöckner gegen alle Widerstände und nicht zuletzt die herrschende Rechtslage die quälende Schweinehaltung in zu engen Metallkäfigen bis aufs Blut verteidigt.

Wir sind jetzt bei ihr zuhause. „Dann sperre ich die Schweine eben unten im Fahrradkeller ein“, droht, wettert und weint die Agrarministerin vor ihrer Wohnzimmerwand mit den vom Kleinkaliber durchlöcherten Porträtfotos der Mitglieder des Deutschen Ethikrats. „Dort kann ich mit ihnen sowieso machen, was ich will.“ Man weiß in diesem Moment nicht genau, ob sie die Schweine meint oder die weinerlichen Moralapostel, die den schon seit 1992 verbotenen „Kastenstand“ anprangern.

„Diese gottverdammten Schweine“, knurrt die ehemalige Nahe-Weinkönigin und läuft vor Zorn dunkelviolett an. Zusehends umwölkt sich ihre ebenmäßige Stirn, ballen sich dahinter tiefschwarze Gedanken zu einem Taifun des Hasses. Doch auf einmal lächelt sie verschmitzt. „Dabei will ich ja nur eine Verlängerung der Übergangsfrist bis zum jüngsten Tag, und keine Sekunde länger.“

Das Wissen um ihre Macht über die Schweine als willkürliche Knet-, Quäl- und Foltermasse, lässt sie rasch wieder vergnügt werden. Eine weitere Niederlage wie das seit Beginn dieses Jahres nun doch endlich wirksame Verbot der Ferkelkastration ohne Betäubung wird es nicht geben, hat sich die erklärte Abtreibungsgegnerin geschworen. Sie hat alles versucht, von einer nochmaligen Fristverlängerung bis hin zur Änderung des Tierschutzgesetzes, doch vergebens. Wo Männer beim Gedanken an den Eingriff schmerzhaft das Gesicht verziehen, ist ihnen weder mit Vernunft noch mit Hass beizukommen. Nun nimmt sich die Ministerin stets ein paar Ferkel mit nach Hause – „meine persönliche Tierwohl-Offensive“ –, um sie am Abend in der guten Stube vor dem Fernseher mit der Kneifzange zu verarzten. Das sind natürlich keine 20 Millionen wie sonst jedes Jahr in Deutschland, aber es ist besser als gar nichts.