Im Supermarkt spielen sich entsetzliche Szenen ab. Es gelingt mir nicht, das gewünschte Käsezwiebelbrötchen aus der Backstation zu fischen. Wiederholt entwindet es sich tückisch dem Zugriff der Brötchenzange. Der erniedrigende Slapstick erinnert mich fatal an diese Jahrmarktautomaten, aus denen Kinder mit per Joystick gesteuerten Greifarmen Stofftiere ziehen können, besser, ziehen könnten, denn die Apparate sind so konstruiert, dass immer kurz vor dem erwarteten Triumph die Beute in den Pool zurückstürzt. Das Kind versagt zuverlässig, der Besuch des Rummels ist verdorben. Einem übermütigen Kind mag das im Ausnahmefall Demut vermitteln, doch eines mit wenig Selbstvertrauen frustriert das ausbleibende Erfolgserlebnis nur noch mehr, bis es eines Tages verbittert zum Sturmgewehr greift, um sich an einer Welt zu rächen, die ihm jedes noch so kleine Glück verweigert.
Ich versteh das nicht. Ich habe das doch schon oft geschafft. Da ging es sogar ganz leicht. Allerdings waren das anspruchslosere Brötchen, weicher, kleiner oder länglicher, und besser zu greifen. Und nicht wie dieses harte, viereckige Käsezwiebelbrötchen mit seiner anspruchsvollen Haptik – die Reifeprüfung unter den Greifaufgaben. Absolut kein Gig für Anfänger. Ich könnte es natürlich mit einem einfacheren Brötchen versuchen, doch ich fürchte, ich bin durch die Fehlversuche bereits derart entmutigt, dass ich nun selbst daran scheitern würde. Und dann wäre ich mental vollends gebrochen, so wie neulich, als ich das Wordle nicht rausgekriegt habe. Außerdem will ich ein Käsezwiebelbrötchen und keine Doofenschrippe, das muss doch wohl irgendwie möglich sein!
Ich werde zunehmend hungriger, wütender und verzweifelter. Auch komme ich mir langsam vor wie so‘n Idiot. Ach nee, das ist kein gutes Wort. Eher wie ein Affe. Wie so ein gottverdammter Scheißaffe. Das passt eh besser. Ugga, angel, fail, wüt, fletsch, kreisch, kaputtmach oder übersprungsfick. Vielleicht stehen ja Verhaltensforscher der Humboldt-Uni, für mich unsichtbar, auf der anderen Seite dieser Kackstation, und notieren auf einem Klemmbrett ethologische Auffälligkeiten.
Da hätten sie aber fett zu tun. Ich bin den Tränen nahe, wie ja ohnehin permanent, seit ich die fünfzig überschritten habe. Das Leben spielt mir übel mit. Dennoch widerstehe ich der Versuchung, das Brötchen ohne Zange zu bergen, wie so ein abgefuckter Unhold. Einen solchen Zivilisationsbruch brächte ich niemals über mich.
Jetzt stellt sich auch noch rotzfrech eine Frau daneben und sieht mir bei meinen Bemühungen zu. Ich gerate ins Schwitzen. Mit Publikum stelle ich mich sogar noch dümmer an. So eine Bühnensituation setzt mich immer total unter Druck – ich bin einfach nicht dafür geschaffen. Im Rampenlicht verbrutzle ich wie ein Vampir in der Sonne.
Das macht die doch extra. Ich versuche, sie zu ignorieren, doch es gelingt mir nicht. Was glotzt die denn so? Gehen Sie weiter, es gibt hier nichts zu sehen! Ich glaub, ich schmier der gleich eine; dann weiß sie endlich, warum sie so guckt.
Oder hat sie vielleicht nur Hunger und hätte irgendwann gern selbst die Zange? Frisch aufgemerkt, werte Frau Glotzhuber, dann hätte ich drei gute Tipps: Erstens, dran ist man, wenn man dran ist. Also gehen Sie zweitens besser ganz weit weg, am besten raus aus dem Laden, und lassen mich drittens unbehelligt mein Ding machen. Ich benötige hier nämlich absolute Ruhe.
Böse starre ich sie aus meinen Triefaugen an, bis sie sich schließlich verzieht. Gut so, ich muss mich konzentrieren. Und Zeugen für meine Schmach kann ich schon gar nicht gebrauchen.