Jetzt, Ende März fällt mir ein, dass ja bald alles erlaubt sein wird. Denn ab 1. April darf jeder sein eigenes „Rauschgift“, wie bayerische, russische oder malaysische Politiker das harmlose Schwafelkraut nennen, züchten.
„Hurra, alles ist erlaubt“, sage ich beim Frühstück zur Frau. „Was hältst du davon, wenn ich mir im Netz ein paar Samen für psychoaktive Petersilie besorge, und die auf meinem Balkon anbaue?“ – „Gar nichts“, sagt sie. „Ich bin eh schon immer viel zu müde. Außerdem steh ich nicht so drauf. Aber mach halt, wenn du meinst.“
Ja, ich meine. Es bietet sich einfach an. Auf meiner windgeschützten Südloggia gedeiht alles wie verrückt, ohne dass ich einen besonders grünen Daumen hätte. Erdbeeren habe ich zum Beispiel von Juni bis November. Hanf wächst gut, ist anspruchslos und sieht schön aus. Für mich ist er vor allem eine dankbare Balkonzierpflanze. Angucken ja, Rauchen jein.
Logisch ist der Zeitpunkt für meinen Entschluss allerdings nicht. Immerhin hatte ich schon vor Jahren mal ein paar prächtige Pflanzen auf einer Dachterrasse hochgezogen. Der Genuss machte mich klug und schön, jedenfalls glaubte ich das, und es war mir natürlich egal, ob das erlaubt war oder nicht. Denn zum Glück bin ich intellektuell in der Lage, das nach eigenen Kriterien zu entscheiden: Finde ich selbst etwas prinzipiell okay, wie leicht werde ich erwischt und wie hoch ist die Strafandrohung.
Alles andere ist doch Kindergarten, im Grunde bräuchte jemand wie ich gar keine Gesetze, ich bin mein eigenes Gesetz, ach was, ich bin das Gesetz schlechthin, ein perfekter Seismograf für das objektive Urteil, was gut und schlecht, richtig und falsch, Recht und Unrecht ist. Ich bin ein Clint Eastwood der Ebene. Besäßen alle Menschen meine sittliche Reife, wäre die Welt längst eine bessere, die Blumen und die Bienen würde einander mit seidigen Tüchlein in einem fort wohlig brummend die Schnäuzchen abwischen, überall wäre freier Eintritt und alle hätten immer Vorfahrt. Der Mohnkuchen wäre aus Schlafmohn, und zusätzlich zum Ostbeauftragten gäbe es auch noch Nord-, Süd- und Westbeauftragte, damit sich keiner benachteiligt fühlt.
So weit also zur zugrunde liegenden Theorie der gefühlten Individualbinnenrechtslage. Trotzdem käme es mir heute komisch vor, mir tonnenweise Dröhnung anzubauen und damit anschließend das Hirn zu beheizen. Denn mit wie vielen Substanzen soll ich mir eigentlich noch die Birne vernebeln – sind Bier und Nikotin etwa nicht genug? Geht irgendwo mal ein Joint rum, greife ich zwar aus schierer Gewohnheit zu, habe das Zeug sonst aber weitgehend von der Liste der Lieblings-Kopfverkehrsmittel gestrichen.
Ein weiterer Grund für die Zurückhaltung liegt im Hang zu einer paranoid destruktiven Selbstwahrnehmung, die die Zauberzigarette bei mir auslösen kann. Es gibt nun mal größere Vergnügen als mit glasigen Augen in Endlosschleife manisch vor sich hin zu problematisieren: Ich bin doch das allerletzte. Alles, was ich jemals in meinem Leben gemacht habe, war riesengroße Scheiße. Ich bin auch nichts anderes als Scheiße. Ich bin eine Witzfigur, die Scheiße macht, Scheiße baut, Scheiße schreibt und scheiße ist. Ich bin so eine erbärmliche Scheißwitzfigur. Wie bin ich bloß auf die Idee gekommen, es könnte irgendwie anders sein? Auf einmal sehe ich alles ganz klar. Das Gras wirkt auf mich wie ein Wahrheitsserum. Endlich weiß ich, wer ich wirklich bin …
Aber so genau will ich die Wahrheit dann vielleicht lieber doch nicht wissen, wenn das überhaupt die Wahrheit ist, wer weiß das schon. Tomaten wachsen hier schließlich auch sehr gut.