Wir lassen uns das Feiern nicht verbieten

Aber noch gibt es ja zum Glück den Fasching.

An Tagen wie dem des Kriegsbeginns in der Ukraine stellt man, da man in solchen Momenten ohnehin nur noch an allem zweifelt, auch gerne mal die Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns in Frage. Der gerade in Arbeit befindliche, flammende Satiretext über den Arsch, der hinter meinem Ich-Erzähler an der Kasse bei Edeka das Warentrennholz nicht vernünftig im Neunziggradwinkel zum Rand des Kassenbands hin ausrichtet, gerät ins Stocken. Akuter Lebensernsteinbruch Backbord, das Unterdeck mit dem Humorlager ist bereits von Pietätserwägungen geflutet, sämtliche Witze sind nass und damit unbrauchbar geworden. Ich würde mich ja gern zusammenreißen, aber Können vor Lachen. Ich will nicht mehr. Was mache ich eigentlich hier?

Auf der anderen Seite kritisiere ich ja hierzulande immer genau das sehr gern: Die Trennung in E und U, die strenge Reichsalbernheitsverordnung, die vorschreibt, wann, wie, wo und über was man Witze machen darf, oder eben nicht. Das weitgehende Fehlen von schwarzem, situativem, Galgen- und Alltagshumor. Der Vorzug von heroinartig betäubenden Belanglosigkeiten gegenüber einem Lachen, das auch mal im Hals stecken bleibt. Hirn und Hände fühlen sich gefesselt an.

Schade. Denn gerade im Krieg will man ja auch zwischendurch mal was zum Schmunzeln haben. Ein bisschen Eskapismus tut Not, um die Akkus wieder aufzuladen, damit man anschließend wieder mit frischer Kraft an die Betroffenheitsarbeit gehen kann. „All work and no play makes Jack a dull boy.“

Das gilt natürlich auch für mich in der Rolle als Konsument. Ich brauche jetzt ebenfalls Kraft durch Ablenkung. Die tiefste und reinste Quelle meiner schöpferischen Stärke sind ja verlässlich diese Waschbärclips auf Youtube, zu denen eine niedliche Piepsstimme auf russisch das drollige Treiben oftmals junger Waschbären kommentiert. Doch ausgerechnet die gehen gerade nicht rein, der Herzschmerzmitteltropf ist zugedreht. Scheiße. Sind das etwa schon die angekündigten Cyber-Angriffe auf die ideellen – sprich vor Schreck reglos in ihre blaugelben Profilbild-Solifahnen weinenden – Unterstützer des ukrainischen Volks? Vor denen wurde ja nun schon lange gewarnt. Sie wollen uns mental und moralisch austrocknen.

Aber noch gibt es ja zum Glück den Fasching. Einer schreibt auf Twitter: „Im Fernsehen läuft Krieg, während im Hintergrund Karnevalsmusik durch die Straßen Kölns tönt. So muss die Hölle aussehen.“ Wie sagt man noch mal gleich so schön dazu? Höllau!

Ach nee, so heißt das ja in Mainz. In Köln lautet der Schlachtruf der Heiterkeit, „Kölle Anaal“ oder so ähnlich. Die Hochburgen darf man keinesfalls durcheinanderbringen. Militärische Invasionen sind ja auf ne Art vielleicht noch ganz witzig, aber sobald es um die Rivalität zwischen den Narrenmetropolen geht, verstehen sie überhaupt keinen Spaß.

Allerdings fangen Karneval, Krieg und Kacke ja nicht zufällig mit demselben Buchstaben an. „Wir schunkeln nicht an den Sorgen der Menschen vorbei, wir lassen uns aber das Feiern nicht von Menschen verbieten, die das Völkerrecht mit Füßen treten!“ twittert das ZDF-Landestudio Nordrhein-Westfalen. Abgesehen davon, dass die trotzige Dummbotschaft an Corona-Partys erinnert – auf die Idee muss man erst mal kommen. Da der Satz schon im Tweet in Anführungszeichen steht, handelt es sich anscheinend um ein Zitat. Aber von wem: Wladimir Putin?

Über die eigene Ignoranz muss ich mir vielleicht dann doch nicht ganz so viel Gedanken machen. Schlimmer geht anscheinend immer. Die Messlatte des Mitgefühls ist jedenfalls unterirdisch tief angelegt. Wie infam kann man sein, das mörderische Geschehen auch noch als Werbebotschaft für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren? Bestimmt gibt es dazu noch einen Themenwagen, auf dem ein jecker Putin aus Pappmaschee auf die Ukraine scheißt, und schon ist alles wieder stimmig: Saufen und Schunkeln gegen den Krieg. Düsseldorf schickt einen Umzugswagen mit 5000 brandneuen Klatschpappen nach Kiew. Narrhallamarsch.

Noch unredlicher wäre es allenfalls, wenn so ein Witzbold einen Unterhaltungstext schriebe, der anderen Kaspern oder Karnevalisten Unernst, Verlogenheit und Peace Washing vorwirft, und dabei genau das alles auf einer vorgeblichen Metaebene selbst bedient. So eine miese kleine Dreckschweinratte müsste echt geächtet werden: Führerschein, Kugelschreiber, Lesebühnenlizenz – alles weg! Meine Meinung.

Blöderweise für diese, ähm, Abhandlung, wird mitten in meine Arbeit daran in Köln dann doch der Rosenmontagszug abgesagt. Und (edit!) richtige Schießwaffen werden am Ende auch noch geliefert. Ich schreibe trotzdem zu Ende, als wäre nichts passiert. So macht man das heute. Hauptsache, die Agenda steht wie ne Eins – scheiß auf veränderte Faktenlagen.

Die andere Wange

Andere Vorstellungen vom Begriff „Frühstück“ .

Der Bäcker am Schlesischen Tor hat sein Profil den Bedürfnissen der Umgebung angepasst, denn der trotz Covid nie ganz versiegte Strom des Partyvolks hat andere Vorstellungen vom Begriff „Frühstück“. Also hat man die Gebäckauslagen und damit auch den verzehrfähigen Content verringert, und dafür ungefähr zehn riesige Bierkühlschränke aufgestellt. Der Laden nennt sich nun „Crazy Schlazy“ oder „Beer & More“ – ich hab nicht wirklich so darauf geachtet.

Die wenigen echten Anwohner, die einfach nur Brötchen holen wollen, keilen sich daher nun jeden Sonntagmorgen um ein unnatürlich verknapptes Angebot. Es gilt das Recht des Früheren, und oft bin ich zu spät. Dann kauft mir irgendein Arschloch die letzten brauchbaren Brötchen vor der Nase weg, während ich ohnmächtig mit den Zähnen knirschend danebenstehe.

Wenn ich mit irgendwelchen Hilfsschrippen zu meiner enttäuschten Frau nach Hause komme, für die ich nicht zu sorgen vermochte, koche ich noch immer vor Wut über den asozialen Gierhals. Kurz denke ich auch, dass ich das durchgeknallte Prepper-Schwein gern getötet hätte, ehe ich dann doch ein wenig über mich selbst erschrecke.

Manchmal läuft es aber auch andersrum, und ein Kunde, der mir verdächtig nach Brötchenwunsch aussieht, kommt erst nach mir dran. Das ist natürlich eine große Genugtuung. Süffisant grinse ich ihn unter meiner Maske an. Haha, du Pfeife, du Loser, du armer Wicht, denke ich, und so wie er guckt, habe ich vielleicht auch laut gedacht. Wie immer in solchen Fällen kaufe ich den ganzen Rest. Verbrannte Erde. Lieber schmeiße ich am Ende was weg – Hauptsache, es fällt der Konkurrenz nicht in die Hände. Das wird ihr eine Lehre sein.

Doch kaum zuhause, fällt alle Rücksichtslosigkeit wie Staub von mir ab. Denn heute gab es nur ein letztes Laugenbrötchen, und das soll meine Frau haben. Ich habe es für sie erbeutet, und lege es ihr nun zu Füßen. Ich bin nicht wichtig, ich kann stattdessen auch zwei der klobigen Kartoffelbrötchen essen, die wie Wackersteine im Magen liegen.

Allerdings habe ich die Rechnung ohne ihren Altruismus gemacht. Sie sagt, ich bekäme das Laugendings. Da stünde quasi mein Name drauf. Ich möge das doch so gern. Sie selbst käme auch mit so einem Dinkelkrusti klar, dessen rollsplittartige Bekörnung immer zwischen den Zähnen steckenbleibt. So geht es hin und her: Nimm du, nein du, nein du.

Dieser Wettstreit der Güte laugt mich irgendwie aus. Wer ist der bessere Mensch, wer haut dem anderen gewissenstechnisch härter in die Schnauze. Hinter der scheinbaren Generosität steckt eine ähnlich passiv aggressive Attitüde wie hinter der neutestamentarischen Forderung „auch noch die andere Wange hinzuhalten.“ Dabei möchte man das aus Sicht des Schlägers vielleicht gar nicht. Das ist ja auch anstrengend, immer so, patsch, klatsch, und noch mal. Übrigens auch seelisch, sofern man kein gewalttätiger Mensch ist, und sich bereits zum ersten Schlag mühsam überwinden musste. Und überhaupt genügt ja meist schon eine einzige Backpfeife, und die Sache ist damit angemessen geregelt. Wozu sich also mit einem Overkill belasten?

Trotzdem bemühe auch ich nun das Neue Testament, eben weil es so neu ist. Dann sollte man es auch benutzen. „Unser Herr Jesus“, sage ich in einem ironischen Tonfall, der meine laizistische Grundhaltung unterstreicht, „hat seinen Followern am Vorabend der Kreuzigung das Gleichnis von den zwei Höflichen an der Tür zum Speisesaal erzählt.“ Ich greife mir nun doch die Laugensemmel. „Jeder will dem anderen den Vortritt lassen, bis schließlich beide verhungert sind. Amen.“