Hunde, wollt ihr ewig schrubben?

Das Vorhaben, während des Urlaubs meinen Palazzo weiterzuvermieten, gestaltete sich erstaunlich schwierig. Schaffte es ein unaufmerksamer Bewerber an den eisernen Torwächtern meiner Wohnungsfotos vorbei, war dann doch spätestens bei der Besichtigung Schluss. Ein Kandidat stieß sich bei seiner überstürzten Flucht so übel den Kopf an, dass ich den Notarzt rufen musste. Eine Person aus meinem Umfeld brachte daraufhin das Wort „Sauberkeit“ ins Spiel.

Wieso sauber? Was meinte die Person? Um zu verstehen, guckte ich mir nun auch die Bilder zu den anderen Anzeigen an. In ziemlich leeren Zimmern in Mitte oder Pankow stand gleichgeschalteter Ikea-Barock herum – Möbel Höffner, Möbel Hütter, Möbel Hitler -, sonst fast nichts; ab und zu vielleicht noch eine Zierpflanze auf dem Tisch oder ein Zierbuch im Regal. Ich fühlte mich in die Lobby einer Hotelkettenfiliale à la McSleep, McStay oder Motel One versetzt. Auch das Fernsehen stellt seine Figuren gern in ähnliche Kulissen, wie es sich die Legebatterien seiner Gebührenzahler vorstellt. Und die würden ja völlig verstört, wenn sie mal eine Staubmaus sähen, und auf der Stelle den Sender wechseln. Schlecht fürs Geschäft.

Das war sicher nichts, wo man wohnen im Sinne von leben wollte. Doch dafür umso lieber wohnen im Sinne von vorübergehend untergebracht sein, ohne sich auf Schritt und Tritt fremde Fußnägel einzutreten, die aus den Ritzen grob gehauener Dielenbretter ragen – vielleicht würde ich das sogar selbst bevorzugen.

Und alles sah sehr sauber aus. Sauber, neu und aufgeräumt. Das sah ich wohl. Jene Wohnungen waren zwar teurer und so spannend wie Särge mit Südbalkon, doch sie gingen offensichtlich weg wie warme Semmeln. Dieselben Leute, die schreiend vor mir getürmt waren, nahmen solche Angebote anschließend mit Kusshand.

Die Person hatte also recht. Wollte ich eine reale Chance haben, müsste ich eine Charme-Offensive starten, meine persönliche „Operation Morgenluft.“ Ich würde mein Reich vorteilhafter präsentieren müssen. Aufräumen, putzen, reinigen. Eine Arbeit vermutlich von Wochen. Daher fing ich auch gleich an.

Das Konzept des Saubermachens erschloss sich mir nicht automatisch. Ich musste es mir erst mühsam erarbeiten. Zunächst checkte ich das Material: Unter einer dicken Schicht Spinnweben fand ich einen Eimer, darin verschiedene Plastikflaschen mit mutmaßlichem Saubermachzeug, das kombinierte ich mal einfach aus dem Kontext. Einen Staubsauger besaß ich ebenfalls. Das hatte ich nicht einmal gewusst, doch dann wies mich die Person auf den imposanten Miele-Masturbator neben meinem Bett hin: offensichtlich ein Multifunktionsgerät – verrückt, da benutzt man einen Gegenstand quasi täglich und kennt ihn überhaupt nicht richtig.

Aber es funktionierte. Ich saugte, wischte, fegte, schrubbte, räumte alten Kram beiseite, in den Keller, in den Müll oder dahin, wo er hingehörte. Fast machte es sogar Spaß. Und ich entdeckte ständig neue, überraschende Details. So hatte ich mich immer gewundert, warum die Leisten fleckig grau und die Türen braun gestrichen waren. Oder wieso der Fußboden im Flur scheinbar aus unbefestigter Erde bestand, während im Rest der Wohnung Holzdielen, Fliesen und Linoleum vorherrschten. Unter dem strengen Regiment meines Besens wechselten Schein und Sein nunmehr wie von Zauberhand die Seiten.

Dann ereilte mich jedoch der Downer. Nach etwa einer Woche bemerkte ich in einer Ecke des Wohnzimmers, das ich längst bearbeitet hatte, Staub. Auch das Glasbord im Bad, das ich doch blitzblank gewienert hatte, wies erneut Wasserflecken auf. Und wohin ich in den folgenden Tagen auch blickte, war es schon wieder dreckig. Es war ernüchternd. Das Saubermachen entpuppte sich rundum als Quatsch. Offensichtlich wurde alles ganz von selbst wieder schmutzig. Wozu hatte ich dann geputzt? Mit einem Mal kam ich mir unendlich lächerlich vor. Ich hätte mir die Aktion komplett sparen können. Den Tränen nahe verfluchte ich die Person, aber auch mich selbst, der ich ihr leichtgläubig auf den Leim gegangen war.

Sollte ich jetzt etwa wieder von vorn anfangen? Wie so ein Facility-Sysiphos bis in alle Ewigkeit Monat für Monat meine Wohnung reinigen, nur damit sie doch gleich wieder einsaut? Das wäre ja so als wenn man jeden Tag von neuem nett zur eigenen Frau sein müsste, obwohl man doch schon mit ihr zusammen ist. Wer macht denn so was? Das ist doch absurd. Sollen die Interessenten doch in die sterilen Fake-Buden jener untoten Pankower ziehen. Ich lass mich hier nicht weiter verarschen.

Stilbruch

Wegen einer mehrtägigen Dschungelwanderung muss ich sie mir nun wohl doch zulegen: Trekkingsandalen mit Klettverschluss. Mein Leben lang habe ich mir geschworen, dass ich so etwas niemals anziehen würde, no way, eher pinkel ich mir in die Jogginghose und mach dazu den Hitlergruß.

Besonders eitel bin ich eigentlich nicht, das kann ich mir auch gar nicht leisten. Es mangelt an Stil, Geschmack und Geld. Außerdem ist mir eine gut gefüllte Gemüseschublade allemal wichtiger als der hilflose Versuch, als wandelndes Zierpüppchen zu reüssieren.

Wahre Schönheit kommt ohnehin von innen. Damit man das auch merkt, greife ich mir morgens immer nur irgendwelche Kleidungsstücke vom „Sachenstuhl“, wie ich das Tool für meinen „Sachenhaufen“ nenne, diesen Berg bereits getragener Klamotten, deren Hautgout mir noch nicht wäschereif genug erscheint. Da muss man manchmal schon etwas länger abwägen, was noch geht und was nicht: Geruchskategorie eins, zwei oder drei? Kommt ja auch drauf an, was man vorhat: eine Party, ein Arztbesuch oder einfach bloß Lesebühne? Da reicht natürlich Schnupperklasse III. Ab und zu liegt man mit der Entscheidung trotzdem mal daneben.

Ich gucke schon längst nicht mehr, was auf dem T-Shirt steht, das Kamerad Zufall mir nachlässig in die Hand drückt. Ob pseudowitziger Spruch oder das Merch einer vor Jahrzehnten pensionierten Band: So richtig altersgerecht erscheinen mir die bunten Fetzen ja nicht mehr, doch wenigstens ernte ich dafür zuweilen nette Blicke. Das heißt, natürlich denke ich zuerst, klaro, una admiradora, was sonst, und was für ein megageiler Typ ich wäre, und dann galt das Lächeln doch wieder bloß dem T-Shirt, auf dem „Volldepp“ oder „Ballermann“ steht, aber immerhin besser als gar nichts.

Ganz davon abgesehen müsste ich, um ein einfarbiges Shirt zu finden, den Sachenhaufen vorher durchsehen. Das wäre viel zu aufwändig. Schließlich muss ich schon dran riechen, das reicht. Ebenfalls ein wenig aus dem Lebensalter gefallen sind im Sommer kurze Hosen und dazu einfach bloß so Flipflops.

Lustigerweise sind es nicht selten dieselben Leute, die sich gegen Schönheits- und Modediktat aussprechen, die dann „ihh, diese hässlichen behaarten Beine von ollen Typen in kurzen Hosen“ lästern und Flipflops soll man auch nicht tragen, das ist anscheinend irgendwie nicht schön oder nicht lässig genug oder weiß der Geier was.

Dabei reden sie reden mal eben, ohne mit der Wimper zu zucken von „irgendwelchen alten Säcken“, obwohl ich direkt daneben stehe, so, als ob mich das nicht beträfe, ich unverletzlich, taub, entmündigt oder tot wäre. Aber vielleicht bin ich in ihren Augen auch einfach nur ein Arschloch, das es nicht anders verdient hat – das kann natürlich sein. Ich laufe trotzdem rum, wie ich will – die können nicht auf der einen Seite einfordern, es stünde jedem frei, sich nach gusto einen Minirock oder einen Kartoffelsack anzuziehen. Nur „alte Säcke“ sollen eben doch bitte Burka tragen oder wenigstens lange Hosen. Und Socken. Aber ohne mich. Sollen die Leute doch tuscheln und meinen und denken und finden. Ihr Spott ist meine Kraftnahrung, ihre Verachtung macht mich stark.

Nur Trekkingssandalen gehen wirklich gar nicht. Genau da ist die Grenze, das ist der Sündenfall. Der HERR sprach, „Leute, ihr seid hier nicht auf La Gomera“, und schmiss Adam und Eva aus dem Paradies. Die Trottellatschen sind der Offenbarungseid, eine Kapitulation vor sich selbst und der Abschied vom letzten Rest Menschenwürde. Für Jüngere noch irgendwo zwischen Outdoor und Kirchentagsbesucher angesiedelt, sind sie ab vierzig das endgültige Symbol jener spröden Spielart von Altenteil, in der sich graue Paare mit resignierten Mienen gegenseitig hartgekochte Eier zufüttern; die beigefarbene Funktionskleidung tragen und in einem fort Sätze sagen wie, „Männer und Frauen sind nun mal verschieden“, „neulich ist in Wilmersdorf schon wieder jemand überfallen worden“, „jetzt freu ich mich erst mal auf nen schönen heißen Tee“, „die haben ja auch eine ganz andere Kultur“, „den jungen Menschen fehlt einfach die Erfahrung“, „die Ausländer fahren alle zu schnell“, und dazwischen immer wieder, „ich würde mich gerne mal hinsetzen.“ So ein verhärmter Pastell-Zombie wollte ich bitte erst nach meinem Ableben werden. Aber wahrscheinlich ist es einfach schon so weit.