Es ist jeden Morgen dasselbe. Kaum blättere ich die ersten Seiten des Internets auf, schlägt mir lautes Gebrüll entgegen. Pandemie ist nur ein anderes Wort für: Alle hassen alle. Es wird nie wieder so werden, wie es mal war. Ich bin mir sicher, träfe eines Tages der zum Glück nur theoretische Fall ein, dass wir uns wieder leibhaftig in der Kneipe gegenüber säßen, gäbe es auf der Stelle Mord und Totschlag.
Friends, die einander dann über ein Jahr lang gegenseitig als „wichsende Internettrolle“ bezeichnet hätten – und das sind noch diejenigen, die sich gut verstehen – sollen jetzt auf einmal wieder ruhig miteinander reden? Im selben Raum, ohne Polizei, trennende Gitterstäbe oder den wenigstens vor physischer Versehrung schützenden Mantel der Virtualität? Das ist, als würde man eine Gang tollwütiger Wiesel erst an den Schwänzen anzünden, und dann zusammen in einen winzigen Käfig sperren.
Dennoch hört und liest man nun oft denselben windelweichen Quatsch: Man solle mehr aufeinander zu gehen, bitteschön recht zackig die Versöhnung suchen und die Gesellschaft nicht noch weiter spalten.
Höre ich dieses „Aufeinander zu gehen“, sehe ich vor meinem geistigen Auge immer nur zwei Horden, die mit Sensen und Dreschflegeln bewaffnet in einer riesigen Staubwolke aufeinander losstürmen. Da möchte ich weder im Weg stehen, noch auch nur einer dieser beiden Horden angehören.
Und die Versöhnung? Oft tauschen sich nun „die Anderen“ (Arbeitstitel) darüber aus, dass man ja nach jener kriminell hochgejazzten Scheingrippe nicht nur die „Verantwortlichen bestrafen“ – und damit meinen sie nicht diejenigen, deren Opportunismus Menschenleben kostet und paradoxerweise die so doch angeblich geschützte Wirtschaft noch gleich mit ruiniert –, sondern leider auch noch uns Schlafschafen um des lieben Friedens Willen ein „Versöhnungsangebot“ unterbreiten müsse.
Zu gütige, liebe Andere, danke. Aber ich scheiße auf euer Angebot. Erst mir in die Fresse schlagen und mir dann dieselbe Hand entgegenstrecken, damit ich mich bei euch für eure Blödheit entschuldigen kann? Bleibt schön, wo ihr seid. Steckt mich nicht an.
Was haben die Leute bloß immer gegen eine Spaltung der Gesellschaft? Ich will mit denen so wenig zu tun haben wie sie mit mir – die Argumente sind zur Genüge ausgetauscht. Eine lange und unergiebige Zeit des Sprechens ist beendet, nun beginnt die goldene Zeit des Schweigens. Außerdem war die Gesellschaft doch schon immer tief gespalten. Die sozialen Medien machen das jetzt nur sichtbarer – in meinen Augen sogar ihre einzige konstruktive Leistung, außer der niedlichen Zwergotterfamilie, der man beim Fressen zusehen kann. Denn früher wurden die schlimmsten Gräben einfach stillschweigend akzeptiert – sie fielen nur deshalb kaum auf, weil sie keiner thematisierte. Marginalisierte konnten sich schlechter vernetzen, und merkten oft nicht, wie viele sie eigentlich waren. Die Kehrseite der Medaille: Dieselben Medien sind natürlich auch den Anderen Tummelplatz, Echokammer und Gummizelle in Einem.
Alles in allem wäre eine saubere Spaltung hier doch endlich einmal sinnvoll. Gerade für den besagten Frieden wäre es schlicht am besten, man hielte getrennt, was ohnehin nicht zusammengehört. Das wäre Vanillepudding für die Seele, ein warmer Strickpulli für die Nerven, ein Wolfszaun für uns Schlafschafe: Hier die Einen, dort die Anderen und jeder macht in Ruhe sein schwachsinniges, kleines Ding. Eintracht in Zwietracht. Genau darin liegt das ungeheure Potential der Spaltung, ihre heilende Wirkung auf die Gesellschaft, indem man separiert, was zusammen nicht mehr funktioniert – in der Chirurgie heißt das Amputation: keine schöne Sache, aber manchmal lebensrettend.