Fahrt endet hier

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Der M41 kommt. Doch er kommt nicht richtig, denn vorne drauf steht: „Fahrt endet hier.“

Ich weiß nicht, warum mich das so entsetzlich traurig macht. Schließlich wollte ich gar nicht mit dem fahren, ich fahre eigentlich nie mit dem Bus. Außerdem könnte man ja auch denken: okay, Fahrt endet hier, dann beginnt in zehn Minuten eben eine neue. Was für eine positivistische Kackscheiße so unbefangene junge Menschen eben denken würden, diese kleinen dummen Mäuse. Doch meine Lebenserfahrung verbietet mir solch flatterhaften Selbstbetrug. Und dort steht nun mal definitiv und unverrückbar: Fahrt endet hier. Sonst nichts.

Die Fahrt endet hier, der Spaß ist vorbei, The Party is over, wie der Finne sagt, wenn ab 120 Grad in der Sauna das Hirn im Kopfe kocht, das Eiweiß im Hirn gerinnt und aus dem Arschloch es zum allerletzten Male wie ein Wasserkessel pfeift. Das Spiel ist aus, es ist Kehraus, es fällt das Laub, das Haar, der Zahn, der erste Schnee, es endet auch die Fahrt. Endgültig.

Hier endet nun die Fahrt von Tier und Pflanze, Mensch und Hoffnung. Sie alle steigen aus dem Bus des Lebens, zerstreuen sich und ihre Asche schnell in alle Winde. Fahrt endet hier. Wie auch das Wetter endet, Tag und Nacht sind nahezu gleich dunkel, bei beständig sieben Grad und Nieselregen. Auf DAISY steht nur noch: Nächste Abfahrt kömmt am Jüngsten Tag, kömmt gar nicht oder nimmermehr. Das Ziel – zum Teufel – wird auf alle Fälle trotzdem mühelos erreicht.

Endet hier auch unsere Fahrt? Die wir so lang gemeinsam über Stock und Stein, durch Jauchegrube, Minenfeld, zum Glück auch ganz oft über Blumenwiesen, absolviert? Trennen sich denn nun auch unsere Wege?

Wenn die Fahrt endet, beginnt der Stillstand. Stillstand ist Zersetzung. Du fliegst auf einem Teppich dunkelblonder Löckchen fort in deine Heimat, wo die Sonne scheint. Ich segle in entgegengesetzter Richtung auf einer Nussschale aus Binsenquark in die Finsternis hinein, darauf ein Segel mit Schachbrettmuster. Auf dem sind abgebildet die Figuren. Sie heißen nicht mehr Läufer, Turm und König, sondern Säufer, Wurm und Hönig. Genauer gesagt: Heinz Hönig. Wie der kastenbrotartig aussehende und auch agierende Schauspieler.

Der Säufer durchmisst das Brett in raumgreifenden Schlangenlinien. Der Wurm kriecht stets nur geradeaus. Des Hönigs Spielraum aber ist beschränkt auf simple, kurze Moves, erinnernd an des Mimen magere Möglichkeiten. Das ist mein Spiel, mit dem ich mir die Zeit vertreibe auf meinem langen einsamen Törn durch die Dunkelheit.

Was will ich damit sagen? Nix. Allenfalls indirekt noch dies: Im Wurmfortsatz des Interludiums versickert nun auch noch das letzte Körnchen karger Message. Der Traum ist aus, die Fahrt endet und der Spuk beginnt.

Der fliegende M41er rast, nach allem Anschein leer, weiter über die Kreuzung am Hermannplatz, an Bord nur Schatten, auch den Fahrer sieht man nicht. Wie Buchstaben aus Feuer brennt hell am Bug die unheimliche Botschaft: Fahrt endet hier. Doch sie endet nur für die Lebenden, die sich beim Anblick des höllischen Ersatzverkehrs stumm bekreuzigen und rasch nach Hause gehen. Tag des Zorns, Tag des M 41ers.

Der M41 hält nur für Tote. Versucht ein Lebender zuzusteigen, so geht direkt vor seiner Nase – PPFFFHHHH!! – die Bustür zu, der unsichtbare Fahrer brüllt, „kanna nich lesen, Meesta/Piepel/Frollein/junge Frau: ick hab jetzt Pause, für immer – die Fahrt endet hier!“, und bespritzt den Unglücklichen beim Losfahren auch noch absichtsvoll mit einem Schwall von schwarzem Blut aus einer tiefen Pfütze. Das Grauen greift mit klammer Kralle den Tropfnassen am Genick. Schauerlich lacht der Busfahrer, heiser wie ein sterbender Wolf, derweil der Fahrgast kreidebleich zum Taxistand sich schleicht. Bei den Droschkenkutschern weiß man wenigstens seit jeher, dass man von Untoten gefahren wird.

Doch für die Toten fängt die Fahrt nun offenbar erst richtig an. Der Totenbus fährt immer über Mariendorf, dort holt er sich die Alten, die zugleich seine neuen Passagiere sind. An jedem Friedhof steigen viele ein und aus. Ein Ticket hat hier keiner – die Sterbeurkunde genügt als Nachweis. Man sieht sie nicht, man riecht nur Moder, spürt nur einen kalten Zug und erschauert bis ins Mark.