Doomsday

Bedeutungslos gewordene Runen aus einer anderen Zeit

Die Fußballkneipe an der Ecke hat die Rollläden heruntergelassen. Der Aufbruch muss überstürzt gewesen sein, so als wären die Leben aller von einem Moment auf den anderen dornröschenhaft eingefroren. Ein ähnlicher Effekt wie in Pompeji, wo man unter der Vulkanasche des Vesuvs sogar noch die gut erhaltenen Abdrücke schreckensweiter Gesichter fand, zusammengekauerte Körper, im Todeskampf oder auch in letzter Umarmung, und selbst ein bereits zur Flucht gesatteltes Pferd.

Hier ist es fast noch gruseliger. Auf der Tafel neben der Eingangstür steht in Kreide noch immer die Ankündigung der letzten hier im Fernsehen gezeigten Bundesligapartie. Es war das Sonntagabendspiel, am Tag darauf begann der neue Lockdown. Über drei Wochen ist das her – die Ankündigung liest sich nun wie bedeutungslos gewordene Runen aus einer anderen Zeit und einer anderen Welt. Die Gäste, die den Laden mal so unnachahmlich brummen ließen, sind zuhause, woanders oder tot. Es hat etwas von einem Katastrophenfilm.

Doch was mir mehr als alles andere eiskalte Schauer über den Rücken jagt, ist ein teuflisches, in seiner apokalyptischen Symbolik ungeheures Detail. Denn nicht etwa Real Madrid gegen den FC Barcelona wird dort angepriesen, und auch nicht Bayern gegen Dortmund, sondern Hertha BSC gegen den VFL Wolfsburg.

Eine Spielpaarung also, die schon an sich nach Vergeblichkeit riecht, nach absoluter Sinnferne, Verfall, Verwesung und dem Ende der Welt. Tod gegen Elend, ein jämmerliches Geisterspiel schon vor Corona. Wer hier noch an Zufall glauben möchte, glaubt auch nicht ehrlich an Gespenster. Es ist ein Treppenwitz der Weltuntergangsgeschichte, ein Wink mit dem brennenden Zaunpfahl direkt aus der Hölle. Als wäre die Uhr am Doomsday ausgerechnet um sechs Uhr sechsundsechzig mitteleuropäischer Endzeit für immer stehengeblieben.

Vor meinem inneren Auge erscheint in HD-Breitwand eine verlassene Westernstadt; der Wind heult zu einer Melodie von Ennio Morricone durch die Straßen und treibt einen vereinzelten Tumbleweed vor sich her. Alles ist wie ausgestorben, doch in den Häusern steht noch immer das Mittagessen auf den Tischen, Bohnen mit Speck, in dem sich als letzte hier verbliebene Lebewesen nun die Maden tummeln. Die Bewohner sind offenbar Hals über Kopf geflohen, von den Banditen verschleppt oder getötet worden. Die Schwingtür des Saloons quietscht im Wind: Ist dort vielleicht noch jemand am Leben? Doch da sitzt nur ein Toter mit einer Kugel im Kopf vor seinem Whiskyglas, dessen Inhalt längst verdunstet ist. Neben der Bar befindet sich ein Aushang mit den pandemiebedingt geänderten Öffnungszeiten für das hauseigene Bordell im ersten Stock, Steckbriefen, die unter der Scheinalternative „Dead or Alive“ um Mithilfe bei der Ergreifung von Pferde-, Hühner- und Tagedieben bitten, sowie eine Ankündigung des allabendlichen Shootouts zwischen Dorfdepp und Deputy um 18 Uhr draußen vorm Saloon: Hertha BSC gegen VFL Wolfsburg.

In diesem Moment weiß die Fremde: Diese verfluchte Stadt wird nie wieder bewohnt sein, und das ist auch gut so.

Kanzelkultur

So ein Spinner – der will ein Arzt sein?

Der Orthopäde, der meinen Fuß untersucht, trägt seinen Mundnasenschutz demonstrativ schlampig. Ich selbst bräuchte keinen anzulegen, sagt er, „das ist doch eh alles Quatsch, diese Masken bringen überhaupt nichts.“

Er flucht und brummelt, murmelt und hetzt. Kurz verspüre ich den Drang, auf der Stelle zu gehen. So ein Spinner – der will ein Arzt sein? Doch dann besinne ich mich. Auch Mediziner sind schließlich nur Menschen. Sie rauchen und trinken, ernähren sich schlecht und haben komische Ansichten. Man denke nur an die Unterzeichner der „Great-Barrington-Declaration“, die 700 „Ärzte für Aufklärung“, die in ihren Praxen mit Handzetteln vor „Impfzwang“ warnen, oder jene mittlerweile so sprichwörtlich wie die zwölf Apostel gewordenen 107 Lungenärzte, die sich für die Segnungen des Feinstaubs fast bis zur öffentlichen Selbstverbrennung in die Bresche warfen. Psychiater wiederum haben manchmal eine gepflegte Meise, wenngleich längst nicht so oft, wie es ihnen ein böswilliger Volksmund andichtet. Und Orthopäden sind, ebenso wie Chirurgen, ohnehin eher eine Art Klempner.

Ich will jedenfalls nicht mehr Leute pauschal für ihre Haltung abstrafen. Das ist doch überhaupt nicht meine Art. Kritisieren ja, aber nicht ruinieren. So halte ich auch nach dreißig Jahren meinem Friseur die Treue, obwohl er mir im Grunde herzlich unsympathisch ist. Seine fachlichen Qualitäten sind bescheiden – ich sehe hinterher meist aus wie ein frisch ausgewürgtes Greifvogelgewölle und einmal hat er mir fast das Ohr abgeschnitten –, doch die menschlichen sind noch viel schlimmer. Sobald ich unter meinem Frisierumhang gefangen bin, ballert er mich nonstop mit fremdenfeindlichen Witzen der schlimmsten Sorte zu.

Aber darum wechsle ich noch lang nicht den Salon. Sonst würde er denken, dass ich ihn nur wegen seiner Äußerungen wirtschaftlich vernichten will. Das wäre doch nicht fair. Viele Kunden hat er eh nicht mehr. Mit so einer Cancel Culture will ich nichts zu tun haben.

Und zwar weniger weil ich Angst hätte, wie in solchen Fällen üblich, vom Bürgerfeuilleton mit neunmalklugen bis rechts offenen Politbelehrungen zugeschissen zu werden. Das würde nicht passieren, denn schließlich kennt uns kein Schwein, weder mich noch den Friseur. Nein, ich bin einfach nur sensibilisiert, weil ich oft genug am eigenen Leib erfahren habe, wie es sich anfühlt, gecancelt zu werden. Und zwar auf der ganzen Linie. Jedes meiner jüngsten Bücher wurde von sage und schreibe 7,77 Milliarden Menschen boykottiert. Nur, weil es ihnen nicht gefällt, sie es nicht kennen, oder mich nicht kennen, verweigern sie den Kauf. Das muss man sich mal vorstellen, das ist doch eine konzertierte Hexenjagd!

Einigen halte ich zugute, dass ihnen gar nicht bewusst ist, was für ein Zerstörungswerk sie so in meiner Seele anrichten. Und die eine oder andere wird vielleicht nicht daran denken, dass ja auch ich von irgendetwas leben muss. Dafür, dass ich schreibe, was ich denke, und oft auch mal das Gegenteil oder irgendwas dazwischen, überziehen sie mich mit ihrem Vernichtungsfeldzug. Dabei beweisen doch stets ein paar hundert treue Käufer, dass es durchaus möglich ist, das Werk nicht für die Privatmeinung des Autors büßen zu lassen, oder genauer, für das, was sie für seine Meinung halten.

In der Praxis seufze ich ergeben und blicke dem Orthopäden tief in seine müden, gelben Augen. Er ist ein Arschloch, ja, na und? Wer bin ich, ihn deshalb ins Elend zu stoßen? Freilich bleibt noch immer eine Restlust, ihm anschließend wenigstens auf Jameda eins überzubraten.

Das Böse

Ein Geschenk der Krone an die Demut und die Vernunft

Es war nicht alles schlecht an Corona, ich sag nur: Autobahnen. Die waren eine Zeitlang herrlich leer. Ebenso der Himmel über Berlin: keine dröhnenden Flugzeuge, keine krankmachenden Chemtrails; bloß ein paar selten gechillte Vögel flogen wie gewohnt von A nach C und von A nach B. Vergleichsweise himmlische Ruhe herrschte auch auf den Berliner Straßen. Alle saßen zuhause und hatten Angst, so dass die wenigen Systemrelevanten super durchkamen. Die in der Folge errichteten Pop-up-Radwege waren ein Geschenk der Krone an die Demut und die Vernunft. Der Kottbusser Damm, sonst ein analoges Killerspiel für Kfz und LKW, wurde so zum utopischen Bullerbü-Erlebnispark. Lachende Eichhörnchenkinder wiesen den behütet durch die laue Brise schwebenden Liegeradfahrern den Weg. Die vom Abgas befreiten Bäume rauschten mit ihren Blättern das Lied von der Achtsamkeit aller Lebewesen dazu.

Doch die schöne neue Welt entpuppt sich nun als Illusion. Seit Hildmann und seine zehn Millionen Gerechten das Virus so gut wie besiegt haben, ist leider wieder Schluss mit lustig. Der neue Lockdown Ultralight verläuft nach neuen Regeln. Die U-Bahnen sind fahrende Pestgruben, die Straßen sind so voll wie je zuvor, und die Pop-up-Radwege sollen wieder abgebaut werden. Irgendein Arsch von der AfD, dessen Namen ich nicht nenne, um dem Täter keine Plattform zu geben, hat dagegen geklagt, und das Gericht hat ihm Recht geben.

SA, SS, AFDAC. Selbst wenn man, die aufkommende Übelkeit ignorierend, versucht, sich in die Köpfe der Nazis reinzudenken, kommt man zwangsläufig an den Punkt, da einen eine völlig sinnbefreite Form der Niedertracht ratlos zurücklässt. Also nicht, dass das mit den Radwegen schlimmer wäre als an der Grenze auf Geflüchtete zu schießen, oder dass es nicht auch der FDP oder Ulf Poschardt zuzutrauen wäre. Aber es ist ein gutes Beispiel für die typische, rein destruktive Denkweise der Nazis.

Denn sobald ich denke, irgendeine immanente und sei sie noch so kalte Logik müsse es doch geben und die müssten doch irgendetwas wollen, das sie wenigstens selbst für gut halten, komme ich stets zum selben Ergebnis: Sie verkörpern einfach nur das wahllos Böse. Sie wollen schlicht, dass mehr Radfahrer sterben. Es geht nicht um Ziele, sondern um die grundsätzliche Dekonstruktion jeder Menschlichkeit. Kindern am Strand die Sandburgen zerlatschen, Entenküken mit der bloßen Faust zerquetschen, gesunde Bäume fällen, gegen Tempolimits vor Grundschulen stimmen. Das wird spätestens klar, wo sie auf lokalpolitischer Ebene alles torpedieren, was auch nur entfernt nach Licht, Leben oder Fortschritt aussieht.

Sie wünschen sich alle anderen tot, die nicht haargenau so sind wie sie. Das gilt sogar für jenen älteren CDU-Typen, der seit neuestem öfter mal das Rad benutzt. Nur, weil ein AfD-Scherge mit seinem Panzer da eine halbe Minute schneller durchbrettern will. Das ist alles; so ticken die.

Dennoch wird in den semireaktionären Medien noch immer so getan, als wäre das Wählen dieser Partei eine Art Hilferuf. Wie ein verwirrter Jugendlicher, der aus Liebeskummer oder Weltschmerz eine Überdosis Schlaftabletten nimmt, aber gerade so viel, dass er eben noch gerettet werden kann. Der Magen wird ihm ausgepumpt, und endlich wachen die besorgten Eltern auf, und wenden sich seinen Problemen zu.

Die da lauten: Papas neue Freundin ist doof; statt der Corona-Diktatur will er endlich eine (r)echte; die leidige „LGBT-Ideologie“, die ganze Landstriche verheert; zu viele Migranten, zu viel Gemüse, zu viele Farben, zu viele Radfahrer … Er ist aber nun mal nicht fünfzehn, sondern fünfzig, und darf leider schon wählen.

Nüscht

Zehn grüne Warnungen sind eine rote.

„Habt ihr eigentlich die Corona-App?“, frage ich in eine abendliche Runde smarter Akademiker hinein. Keiner hat. Nur einer hatte sie mal heruntergeladen, dann aber wieder entfernt, „weil die nie richtig funktioniert hat.“

Die App ist offensichtlich nicht so weit verbreitet, wie sie sein müsste, damit sie wirklich weiterhilft. Aber ich habe sie. Natürlich. Ich gehöre zu einer bestimmten Blase, die die App verwendet: rührend gutwillige Menschen, die sich ohne allzu großen Aufwand safe, sozial und mündig fühlen wollen. Halbintellektuelle, Halbverantwortliche, Halbkritische und Halbdigitale – die meisten von uns duften gut und haben angenehme Stimmen und Ansichten. Also erst mal schön das glitzy Lifestyle-Feature aufs bereits mit allem möglichen Junk überladene Endgerät gespielt, ohne zu wissen, wie es überhaupt arbeitet. Es funktioniert in der Tat oft nicht, aber das ist in den ersten Monaten egal. Irgendwo ist es ja auch ein Symbol für unsere Akzeptanz der Umstände. Hauptsache, wir haben es, dachten wir. Ist cool. Es passierte ohnehin nicht viel. Das war im Sommer.

Doch jetzt häufen sich wieder die Infektionsfälle, und die Apps schlagen Alarm. Überall fragen die Leute, was das denn nun um Gottes Willen bedeute? Die Panik übersteigt noch die vor der originären Pandemie. Zunächst hatte alle bloß grüne Warnungen. Also Warnungen, die vor gar nichts warnen. „Alles ist in Ordnung“, sagt die grüne. „Ich warne nur ein bisschen. Vor nichts.“ Das ist reine Beschäftigungstherapie. Die Wichtigtuer-App gibt damit an: Ich tu was, ich kann was, ich arbeite. Fragt sich nur, was und wozu.

Eine Freundin hatte mal fünfzehn grüne gesammelt, auf einen Streich. Fünfzehn mal nüscht ist nüscht, habe ich mal in Mathe gelernt. Aber ich gebe zu, ich war trotzdem ein wenig neidisch. Fünfzehn! Alter! Was mich weiter zu der Frage bringt: Kann man die vielen grünen, denn auch irgendwann gegen eine rote umtauschen? Das wäre doch nur fair, das hätte man sich erarbeitet und verdient. Drei Ecken Elfer. Dreimal umgezogen ist einmal abgebrannt. Acht Punkte Fahrverbot. Zehn grüne Warnungen sind eine rote.

Denn die roten gibt es neuerdings ja immer öfter. Seitdem ist vielleicht was los! Doch auch hier werde ich grün vor Neid, als die ersten Screenshots der Angeber mit den rotschicken Warnungen in den sozialen Medien auftauchen. Zusammen mit vielen Fragen: Was ist los, was muss ich tun, wo muss ich hin, wann werde ich sterben?

Die später ebenfalls geposteten Antworten zumindest der Berliner Gesundheitsämter könnte man inhaltlich in etwa so zusammenfassen: „Machense einfach nüscht.“ Bisschen vorsichtiger sein. Vielleicht.

Apropos nüscht. Was war das noch für ein Theater, als die App herauskam. Wir sollen alle zwangsüberwacht werden, hieß es über die am Ende selbst vom Chaos Computer Club geadelte und obendrein freiwillig heruntergeladene App – die Logik erinnerte fatal an den Zwergenaufstand gegen die auch nie geplante „Zwangsimpfung“. Dabei würden die Geheimdienstler an dem unbrauchbaren Datenschrott von mutmaßlich Schimpansenhand (oder -fuß) sowieso verzweifeln. Was ist nur los mit diesem Land, das einst den Kölner Dom, die V1 und den Porsche Cheyenne gebaut hat?

Einmal habe ich eine grüne Risikobegegnung, also ohne Risiko, und schleppe sie zwei Wochen mit; einmal habe ich vier auf einmal, und schon am nächsten Tag sind sie wieder verschwunden. Egal, grüne Risikobegegnungen sind ja eh keine. „Machense jetzt aber mal so wirklich überhaupt jar nüscht“, würde das Gesundheitsamt vermutlich dazu sagen. „Am besten weniger als nüscht.“ Und keine Panik.

Zugbrücke hoch

Auch die bösen Nachbarn haben sich in ihre Burg zurückgezogen.

Die Freundin, mit der wir uns das Gartengrundstück im Landkreis Oberhavel teilen, berichtet, dass die Nachbarin laut aufjaulte, als sie ihr Auto mit Berliner Kennzeichen vor dem Zaun parkte: „Wat macht sie denn hier?“, nölte sie über den Kopf unserer Freundin hinweg zu ihrem Mann, anstatt die Gemeinte selbst anzusprechen. „Ich dachte, die dürfen das nicht.“

Die sind wir. Nun wird die Fremdenfeindlichkeit vom Notstand zur Notwendigkeit geadelt. Das wacklige Gatter des Anstands wird endgültig geöffnet und die Sau herausgelassen. Gerüchte fliegen über Gartenzäune hin und her: Die Stadtmenschen rücken an, im Sturmgepäck ihren posturbanen Coronaclubseuchensiff. Jetzt aber fix die Zugbrücke hoch und die Zinnen besetzt.

Das ist es nämlich, was wir tun: Wir steigen in aller Herrgottsfrühe ins Auto und fahren zum zweiten Zuhause. Noch im Stadtgebiet kaufen wir im fast menschenleeren Supermarkt an der Ausfallstraße ein, um draußen jeden Kontakt mit Einheimischen zu vermeiden. Auf der Landstraße schaue ich dennoch in den Rückspiegel, ob da womöglich ein verbeulter Pickup auftaucht, mit dem uns gleich eine Horde „da sind die verseuchten Schweine!“ johlender Hillbillys von der Straße drängen wird. Vielleicht habe ich zu viele amerikanische Indie-Filme gesehen. Aber gemocht haben die Brandenburger uns eh noch nie besonders. Jetzt sollen wir endgültig bleiben, wo wir hergekommen sind.

In der Zeitung stand: Wer eine Datsche hat, solle aus Solidarität mit denen, die keine haben, in der Stadt bleiben. Und eben auch wegen der Brandenburger. Denn wenn wir uns den Fuß brächen, würden wir eines der raren märkischen Krankenhausbetten belegen. Wir brechen uns aber nicht den Fuß, wenn wir dort den ganzen Tag allein im Liegestuhl sitzen. Wer ist so blöd? Keine Menschenseele ist zu sehen, auch die bösen Nachbarn haben sich in ihre Burg zurückgezogen. Nur unser Verpächter kommt kurz, wir halten ein Schwätzchen schön brav mit drei Metern Abstand. Er nimmt die Pandemie genau so ernst wie seine Nachbarn; er ist einfach nur nicht so ein Arschloch. Morgen werden wir vorsichtig wieder zurück in unser anderes Zuhause fahren.

Bleibt noch der Ansatz, jedem solle es gleich schlecht gehen, um die verbreitete Lüge, vor Corona seien wir alle gleich, vielleicht doch noch irgendwie hinzubiegen. Auf einmal ziehen viele liebe Privilegierte das seit dem Frühmittelalter im Ärmel verstaubende Ass der alleinerziehenden Mutter hervor und knallen es vor den bösen Privilegierten auf den Tisch – zack, gestochen!

Aber im Grunde eine geile Idee: Die Hütte bleibt leer, der Garten vertrocknet. Aus Solidarität verkleinern wir unsere Fünfzimmerwohnungen künstlich auf ein Zimmer. Die Dienstboten sind eh auf Kurzarbeit. Auch die Nerven des Hedonistenpärchens sind schon reichlich angespannt: Nach Wochen nur zu zweit in unserem Palast verdichten sich zahllose Mikroaggressionen zu einem derart langen Läufer aus verfilztem Hass, dass er von Hades-Mitte bis in die ersten Vororte von Armageddon reicht. Unter diesen Vorzeichen machen wir nun Soli-Self-Homeschooling. Dafür brauchen wir auch keine Kinder; viel anstrengender sind ohnehin brettbehämmerte 50jährige, die sich auf nichts außer ihrer Scrabble-App länger als eine Minute konzentrieren und einen Logarithmus nicht von einem spanischen Hilfsverb unterscheiden können. Das gibt Tränen und Geschrei, da merken wir dann endlich mal wie sich das anfühlt.

Was ich aber eigentlich sagen wollte: Uns geht es gut. Wir können raus fahren, wir können hierbleiben, es ist egal, es ist für alle außer uns vollkommen unwichtig, so oder so.