Und schon wieder ist uns in der Gartenhütte so eine niedliche kleine Maus in die Falle gegangen. Tot natürlich. Dafür haben wir die Falle ja aufgestellt. Klatsch, peng, tot. Als eine Freundin davon hört, fragt sie, warum, wenn überhaupt eine, wir denn keine Lebendfalle verwendeten.
Ich labere irgendwas von notorisch unzuverlässigen Lebendfallen, die dem Tier noch mehr Schmerz zufügen könnten. Aber eigentlich habe ich herzlich wenig Ahnung. Es ist einfach nur so, dass die Maus nach ihrer Entlassung in den Garten sofort – schlender, pfeif – rotzfrech und mit noch umgebundenem Lätzchen wieder zurückkäme, um in der Küche das kaum unterbrochene Mahl fortzusetzen.
In Kanada werden Problembären lebend gefangen, abtransportiert und dann hunderte von Kilometern entfernt wieder ausgesetzt. Wandert der Bär zurück und macht weiter Stress, erhält er mindestens eine weitere Chance, bevor ihm endlich irgendwann mal eine auf den Pelz gebrannt wird. Über diese Mittel und Strukturen verfügen wir aber nicht. Wir sehen uns nicht in der Lage, dasselbe für die Mäuse zu leisten. Deshalb also die Genickbruchfalle.
Die Frage nach dem Warum: Nun, die Mäuse fressen alles. Sie knabbern auch alles an und kaputt und durch, und längst nicht nur Lebensmittel. Eines Tages zernagen die noch mal ein Stromkabel. Sie kacken alles voll und verursachen damit nachweislich üble Krankheiten. Sie poltern nachts durch die Hütte, so dass keine Sau schlafen kann. Die Menschheit versucht seit über zehntausend Jahren, Ratten und Mäuse kurzzuhalten. Und durch Wegtragen hat das noch keiner geschafft.
Aber wohl ist uns nicht dabei. Für einen urbanen Sesselpuper fühlt es sich komisch an, ein Säugetier zu töten, und „komisch“ meine ich jetzt nicht im Sinn von „lustig“. Doch wer Fleisch von Säugetieren und Vögeln isst, sollte auch Säugetiere und Vögel töten können; wer Fleisch von Wiesenhof isst, darüber hinaus in der Lage sein, Menschen zu töten, Häuser anzuzünden und Omis mit dem Enkeltrick auszunehmen. Wer wiederum Insekten erschlägt, sollte sie hinterher auch essen – den Stachel kann man meinetwegen vorher entfernen. Unsere moderne Welt ist so voll ungeschriebener Regeln, dass man oft kaum noch durchblickt.
Dabei sammelte ich bereits als kleines Kind Erfahrung mit dem Töten. Unsere überaus fleißige Familienkatze schleppte alles an, was sich nicht bei drei auf den Baum, in die Luft oder unter die Erde retten konnte. Im Portfolio hatte sie Mäuse, Vögel, Maulwürfe und Siebenschläfer – nur den Zauneidechsen war die Gnade ihrer vorherigen Ausrottung beschieden. Ich musste dann die halbtoten Opfer mit der Schaufel erschlagen, um ihr Leiden zu verkürzen. Die bittere Pflicht fiel automatisch mir zu, da ich schon mit fünf Jahren als vollkommen krank im Kopf und unvorstellbar grausam galt. Eine echte Win-win-Situation: Mein kindlicher Blutdurst wurde aufs trefflichste gestillt, während die reinen Seelchen meiner Geschwister unversehrt blieben. Bald war mir das Töten speziell warmblütiger Lebewesen zur Passion geworden. Erst als ich mit Anfang vierzig plötzlich die Liebe kennenlernte, wuchs in mir zugleich mit der Freude am eigenen auch der Respekt vor dem anderen Leben.
Doch immerhin hat das Töten bei mir noch einen Sinn. Von der Jagd kann man das weniger behaupten. Viele der erlegten Tiere wie Fuchs, Elster und Waldspaziergänger werden ja noch nicht einmal verzehrt. Beim Jagen geht es nur ums Töten an sich. Von irgendwelcher Folklore an frischer Luft braucht mir hier keiner zu quatschen, geschweige denn von einer edlen Hege des Wildes. Hege durch Erschießung? Das wäre doch, als würde ein Erzieher die Kinder verdreschen und das als Mittagsschlaf verkaufen.
Nur ab und zu geht die gute alte Mordlust doch mal wieder mit mir durch. Wir würden viel mehr Mäuse fangen, gab ich neulich zu bedenken, wenn wir nicht in der Hütte untätig darauf warteten, dass alle Jubeltage einmal eine zu uns eindrang. Sondern, wenn wir sie stattdessen offensiv in ihrem Lebensraum aufsuchten. Also eine große Menge Mausefallen erwürben und die überall im Wald verteilt aufstellten. Dann wäre die Mäuseernte garantiert viel reichhaltiger. Dasselbe Prinzip hatte ich als Kind mit gutem Erfolg studiert: Brachte die Katze wegen Streik, Krankheit oder Urlaub nicht genug Nachschub, begab ich mich mit der Schaufel in die Natur, um Bodenbrüter samt Gelege zu erschlagen. Davon schwärmte ich nun mit sportpalastmäßiger Begeisterung meiner Freundin vor, die Wangen glühten, ich sah vor meinem inneren Auge eine Strecke von wohl hunderttausend toten Mäusen.
Doch ihr strenger Blick genügte und ich verstummte. Mit ernstem, ja mitfühlendem Blick griff ich nach der bestückten Falle in der Küche, trug sie hinaus und hielt sie über den Gartenzaun, hinter dem gleich der Wald beginnt. Ein Druck auf den Hebel, die tote Maus war frei und harrte ihrer häppchenweisen Bestattung durch kleine schwarze Käfer. Mit gesenktem Kopf sprach ich ein kurzes Gebet: Danke, Schwester Maus, dass du für die Unversehrtheit unserer Vorräte gestorben bist; danke, dass du dich für unsere Nachtruhe geopfert hast; danke …