Künstliche Höhepunkte

Doch selbst im größten Dunkel kommt meist von irgendwoher noch ein kleines Licht.

Es ist manchmal schon deprimierend. Zwar gibt es immer was zu tun, aber es ist halt auch immer dasselbe. Den Staubsauger in seiner Ecke scharf anzublicken. Die CD-Sammlung nicht zu sortieren. Schläfchen auf dem Sofa zu halten. Kein Brot zu backen. Einen Metatext darüber zu schreiben, was alles nicht passiert. Auf dem einen Friedhof mit X spazieren zu gehen, auf dem anderen Friedhof mit Y, Hauptgesprächsthemen: nix los, nix zu tun und nix zu wollen.

Es gibt Tage, da mich das alles zermürbt, obwohl es mir während der Pandemie ja vergleichsweise gut geht. Eigentlich darf ich gar nicht jammern. Andere sind alleinerziehend, Barbesitzer, oder haben Granatensplitter im Unterleib. Nur die haben die Lizenz zum Jammern. Die Jammerkapazitäten sind nun mal beschränkt, und stimmungsmäßig mal ein bisschen durchzuhängen, gilt nicht als anerkannter Jammergrund. An dieser Stelle kommt in Deutschland stets verlässlich der alte Nazi-Appell, man soll sich doch mal „zusammenreißen“. Ein deutsches Mädel weint nicht.

Die Aufreger fehlen halt, die positiven wie die negativen. Doch zum Glück habe ich ein Rezept gefunden, meine persönliche „Excite-Strategie“: Bewusst kreiere ich eine Reihe von Events, künstlich aufgebauschte Eckpunkte in meinem Lockdownleben, an denen entlang ich mich durch die gegenwärtige Ödnis hangle. So zum Beispiel die Nabu-Wahl zum Vogel des Jahres. Natürlich hatte ich längst gewählt, die Blaumeise, die Königin der Hecke bei den Mülltonnen, wen auch sonst. Doch bis zur Verkündung des amtlichen Endergebnisses machte ich fleißig Stimmung gegen all die anderen Vögel – eine Superbeschäftigungstherapie: Wutsmileys, die Konkurrenz verächtlich machende Hetzkommentare, vor allem unter das Rotkehlchen, denn irgendein Algorithmus spülte mir den kleinen Cocksucker immer wieder in die Timeline. Was soll das?

Natürlich hätte man sich auch auf einen ungeliebten Kandidaten einigen können, um mit konzertierter Kraft wenigstens die Wahl der Stadttaube zu verhindern, so wie man in Frankreich Macron als kleineres Übel gegen die Rechtsradikalen gewählt hat. Aber nicht mit mir. Was will ich mit dem neoliberalen Rotkehlchen Macron? Conquer or die, Blaumeise oder Untergang. Dass der alerte Betrügervogel, dieses Devotkehlchen, ein aufgeplustertes, opportunistisches Nichts aus Federn, Luft und Lüge, am Ende auch gewann, ist ausschließlich die Schuld seiner Wähler, die diese auf immer ungesühnt mit ins Grab nehmen werden.

Ein weiteres Element meines Excitement-Parcours sollte das angekündigte Interview der abtrünnigen Royals Meghan und Harry bei der US-Talktante Oprah Winfrey sein. Was die wohl erzählen würden? „Die Queen ist voll die Pfeife, der Palast stinkt …“, huiuiui, in gehässiger Vorfreude rieb ich mir die Hände. Ich bin zwar nicht der große Klatschonkel, aber tief in mir drin wohnt eben doch ein kleines Arschloch, das mit Gossip gefüttert werden möchte … kein schönes Bild, aber dafür immerhin schief.

Wochenlang fieberte ich der Nacht des Interviews entgegen. Ich wollte mir sogar den Wecker stellen wie für so einen geboosteten Schwergewichtskampf – in Zaire, früh um Vier. Meghan und Harry gegen das Haus Windsor. Leider kam das Ganze nicht auf Kika, sondern nur bei CBS und das kriegte ich nicht rein. Die Enttäuschung war so groß, dass sie mich wohl zwei Tage heftig fiebernd aufs Lager warf.

Doch selbst im größten Dunkel kommt meist von irgendwoher noch ein kleines Licht. Als begleitendes Standardzerstreuungsprogramm habe ich zum Glück noch ein paar Arztbesuche vereinbart. So schlage ich auch zwei Fliegen mit einer Klappe. Ich habe nämlich das Gefühl, zunehmend aus dem Leim zu gehen, obwohl (oder vielleicht auch weil?) ich zurzeit notgedrungen recht gesund lebe – wenig Stress plus wenig Spaß macht wenig Alk und Nikotin. Das krönende Schlussfeuerwerk der gesammelten Arztbesuche soll übrigens eine echte Darmspiegelung bilden (ein Glück, dass die Gastro wenigstens noch geöffnet hat). Das wird sicher sehr schön, zumindest jedoch unterhaltsam. Und das ist es schließlich, worauf es mir in diesen Zeiten ankommt.

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