#MenAreTrash and more …

Beginnen wir zunächst mit And More. Das ist einfacher.

Es ist Sommer, die Open-Air-Saison noch im Gange. Überall hängen die Plakate mit den teilnehmenden Bands. Viele tanzen auf mehreren Hochzeiten, doch nur eine offenbar auf allen. Denn am Ende jedes Line-Ups steht: „And More.“

Diese And More müssen echt gut im Geschäft sein“, sage ich zu meiner Freundin.

Jaha“, sagt sie. „Alt, aber witzig.“

Früher war ich ja ein totaler And-More-Fan.“ Ich gerate ins Schwadronieren. „Ich glaube, ich hab alle Platten von denen.“

Gut, reicht jetzt“, sagt sie. „Wir haben gelacht, aber bitte nicht noch weiter breittreten.“

Nun wäre ich gut beraten, ihre gutgemeinte Warnung zu beachten. Sie ist mein künstlerisches und moralisches Gewissen, meine Witzgeigerzählerin und meine geschmackssichere Pointenpolizei. Doch leider mangelt es mir oft an der nötigen Einsicht. Denn sobald ich mich erstmal in einen eigenen Einfall verknallt habe, bin ich nur noch schwer zu bremsen.

So wie jetzt. „Und weißt du, warum die auf den Ankündigungen immer als letztes aufgeführt werden? Weil die nämlich immer am Ende auftreten. (Narhalla-Tusch im Kopf) Der absolute Headliner bei jedem Festival. Weil die so gut sind, dass die keiner mehr toppen kann. Alle anderen wären danach bloß von der Bühne gebuht worden. Ein einziges Mal haben die Veranstalter And More vor den Stones spielen lassen. Das war ’98 in Bullerby. Mick Jagger hat geweint, weil er die Tomatenspritzer nie mehr aus dem teuren Rüschenhemd bekam. (Gelächter Publikum im Kopf)

Dafür hab ich dann geheult, als sich And More getrennt haben. Eine Welt brach für mich zusammen. Offiziell kam irgendein Blabla von wegen „Unstimmigkeiten über die künstlerische Ausrichtung.“ Ein anderes Wort für Drogenprobleme. And hat es noch eine Weile lang solo versucht, aber ohne More, der ja auch die meisten Lyrics geschrieben hat, war er ein Schatten seiner selbst. Ich hab ihn 2007 noch einmal im Huxley’s gesehen: ein stammelndes Gespenst, das die Gitarre falsch herum hielt – zum Fremdschämen.

Mit More ging’s noch weiter bergab. Der hat sich erstmal komplett aus dem Musikbusiness zurückgezogen. Nur noch Skandale. Kaution – Bewährung – Entzug – Rückfall: So hießen bei ihm fortan die Jahreszeiten. (Tusch und Lachen im Kopf) Der Tiefpunkt war dann wohl, als er in West-Hollywood bei seinem Nachbarn Tyll Schweighöfer zugekokst wie Bolle und nach zwei Flaschen Mezcal über die Gartenmauer geklettert ist und Schweigis Poolkeeper mit einer Schwimmnudel verhauen hat.

Danach war er über Jahre weg von der Bildfläche. Irgendsone Edelklapper mit Meerblick. Und jetzt feiern die offenbar ne Reunion. Brauchen bestimmt Kohle, das ist dann ja meistens so. Gerade bei More wundert mich das auch so gar nicht …“ (Sich selbst und die eigene bürgerliche Superiorität bestätigendes Sozialdemokratenkabarettgekicher sowie Zwischenapplaus. Im Kopf)

Sie stoppt meinen Elan. „Kein Wunder, dass dich dein Agent rausgeschmissen hat.“ Und ich verstumme. So einfach ist das, obwohl sie es gar nicht gesagt hat, weil es so ja auch nicht stimmt. Aber ich habe gelernt, jede Kritik anzunehmen, egal, ob sie nun geäußert wird oder nicht.

So nehme ich natürlich auch #MenAreTrash an. Das ist ebenfalls wichtige Kritik. Und nicht nur der Inhalt, auch die Form ist wichtig. Immer mitten in die Fresse rein – das wirkt reinigend wie ein Gewitter, aufweckend wie ein doppelter Espresso und erhellend wie ein abgeschlossenes Hochschulstudium.

Ich erklär das hier mal über einen Umweg. Im Rahmen einer Aufführung an der Volksbühne wurden wir, das Publikum, in einem fort von einem Schauspieler beschimpft. Der traute sich was, Wahnsinn! Wie er uns satten Theaterbonzen erst die Larve vom Gesicht riss und dann den Spiegel vorhielt. Die Volksbühne war schon immer äußerst innovativ.

Du blöde alte Fotze“, brüllte er auf eine Zuschauerin weit hinten ein, „was willst du überhaupt hier?“, denn in den 90er Jahren experimentierte man erstmals damit, Frauenhass nach außen hin als ironische Kunst zu verkaufen. Das war aber reine Stilübung. Die innere Haltung blieb spürbar die gleiche.

Obwohl der Raum so eingerichtet war, dass die Zuschauer ihn nur über die Bühne verlassen konnten, wagten es dennoch einige, wobei sie dann noch übler beschimpft wurden. Ansonsten erinnere ich mich kaum mehr an das Stück, außer dass Kathrin Angerer die ganze Zeit über nackt durch die Kulissen tollte. Das gab die Vorlage zwar nicht her, da sie weder beim Hautarzt noch am FKK-Strand spielte, doch die Volksbühne hatte nun mal ihren Ruf als „feministisches, queeres und antirassistisches Theater“ zu erfüllen.

Nun war ich aber zu jener Zeit gar kein Theaterbonze, sondern arbeitete als Taxifahrer. Da gehörte es ohnehin schon zum Anforderungsprofil, jede zweite Nacht von irgendeinem Irren angepöbelt zu werden. Jetzt kam da so ein privilegierter Bürgerschreck daher, von dem ich mich auch noch in meiner Freizeit erniedrigen lassen musste. Nein, danke – ich pfiff auf seine Katharsisstunde.

All das dachte ich also, leicht kränkbar wie ich damals war, ein typisches Symptom für Unzufriedenheit und mangelndes Selbstbewusstsein. Bis weitere grobe Tiraden des Berufsarschlochs auf einmal eine tiefe Erkenntnis in mir auslösten.

Es war wie eine Epiphanie und damit nun auch der Bogen zu #MenAreTrash. Ohne ein derart deutliches Wort hätte ich niemals mitbekommen, wie sauer die Frauen sind. Au Mann, sind die sauer! Jetzt verstehe ich das endlich. Man versteht eh viel besser, je lauter man angeschrien wird. Das ist nur logisch. Deshalb kann man ja auch Kommentare besser lesen, wenn sie durchgehend in Großbuchstaben verfasst sind. Oft denke ich, dass wer wo alle Zusammenhänge verstehen tut, dass der da bestimmt voll der Weltmeister im Denken wäre.

Drei Dinge waren es also, die ich an dem Abend in der Volksbühne gelernt hatte. Erstens: Viel hilft viel. Zweitens: Nimm nicht immer jeden Senf persönlich, drittens hat trotzdem alles immer auch mit dir selbst zu tun und viertens weiß ich nicht mehr. Deshalb ja auch drei Dinge. And more.

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