Der Erste


Im alten Zirkus erogener Illusionen herrscht heute Totentanz.

Am Morgen bin ich stets der Erste.

Geduldig warte ich, auf dass der Sex-Shop seine Pforten öffnet.

Es ist kalt.

Ich denke an die Worte eines Büttenredners;

dies sagte kichernd der Haha-Mann:

Wer zuerst kommt, den bestraft das Leben;

wer zuletzt kommt, den bestraft der Tod;

wer aber gar nicht kommt, den straft am Ende niemand.

Wohlfeile Flucht für matte Zögerlinge.

Ein solcher Weg ist nichts für mich.

Wer wen warum bestraft, ist mir egal.

Denn Strafe muss nicht sein, kann allerdings zum Zwecke.

Ich warte weiter.

Um Punkt acht Uhr macht dann der Sex-Shop auf.

Der Herr Direktor grüßt mich freundlich:

Kommen Sie doch nur geschwind herein.

Möchten Sie vielleicht auch einen Tee?

Es ist so bitterkalt.

Wäre dieser Laden nicht,

so wüsste ich nicht, was ich machen sollte:

wohin gehen,

was tun,

aus welchem Grunde weinen?

Wir plaudern, lachen,

trinken eine zweite Tasse.

Dazu serviert die Senior Shop Assistant Kekse.

Sie sind mit Liebe sowie Eros selbst gebacken,

mit Himbeermarmelade in der Mitte drin.

Bevor der Ansturm nun beginnt,

die Schulkinder in Scharen kommen,

die Bauarbeiter, Businessladys und Beamten,

lege ich mich ab aufs Kanapee im Hinterzimmer,

um das Geschäft im Laden nicht zu stören.

Doch keiner kommt.

Im alten Zirkus erogener Illusionen

herrscht heute Totentanz.

Dabei gibt es Magazine, Bücher, Spielzeug;

das kann man jedoch auch im Internet erwerben.

Sexshop, Videothek und Monis Ecklokal;

wo ist es hin:

Zille sein Milljöh?

Da man briet noch Biberkeulen überm Lagerfeuer

und hörte dazu laut Musikkassetten.

(Einschub: Gesellschaftskritik.

Das ist überhaupt nicht gut!

Nein, es ist vielmehr schlecht und böse.

Alle denken nur noch sehr an sich.

Die Suzi Quatro läuft nicht mehr im Radio.)

Wo ein Wille ist, ist auch ein Steg*;

wo ein Steg* ist, da sitzt immer auch ein Angler;

wo ein Angler sitzt, da grämt sich mancher Fisch.

Am Abend bin ich stets der Letzte,

der mit den Angestellten aus der Türe geht;

ich bin der Erste, der sich wieder anstellt

bis zum nächsten Morgen.

Mir ist kalt.



(*oder auch: Steak. Hier streiten sich die Überlieferungen. Demzufolge wäre der Angler möglicherweise auch ein Koch und der Fisch Fleisch.)

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