Wie ein geköpftes Huhn

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Es scheint was faul im Staate Dänemark – hier der rätselhafte Fall in Kürze: Der dänische Bastler Peter Madsen (46) fährt mit der schwedischen Journalistin Kim Wall (30) in seinem selbst gebauten U-Boot „UC3 Nautilus“ auf die Ostsee hinaus. Als die alarmierte dänische Marine Madsen später von dem sinkenden Gefährt rettet, fehlt von Wall jede Spur. Nachdem ein im Wasser treibender weiblicher Torso gefunden wurde, ändert Madsen seine ursprüngliche Aussage, er habe die Frau bereits am Vorabend wieder an Land abgesetzt, und spricht nun davon, an Bord habe es „einen Unfall gegeben.“

Fast möchte man denken, hier wären die Drehbuchautoren der Krimiserie „die Brücke“ am Werk, einer dänisch-schwedischen Koproduktion, die links und rechts des Öresunds spielt, und in deren Mittelpunkt stets eine Kette bizarrer Ritualmorde steht, wie sie in den kriminalitätsverseuchten Nordländern bekanntermaßen die Regel sind.

Doch oft gibt es ja eine ganz einfache Erklärung. Es ist uns gelungen, Madsen in der Kopenhagener Untersuchungshaft zu besuchen, in der man ihn unerklärlicherweise gefangen hält. Würde man Jeden, der am Rande in einen Unfall verwickelt ist, einsperren, säßen wohl Milliarden im Knast.

Der Erfinder bleibt angesichts der Umstände bewundernswert ruhig und kooperativ. Kein böses Wort gegen die Behörden kommt über seine Lippen. „Die tun alle nur ihre Pflicht“, betont er. „So etwas ist bei Unfällen eben Routine. Das blöde Missverständnis wird sich bald aufklären.“

Wir konfrontieren den Tüftler mit seinen widersprüchlichen Aussagen. Er lacht. „Nun, dann hatte ich sie wohl doch nicht abgesetzt“, sagt er. Er zeigt das breite, etwas undurchsichtige „Madsen-Schmunzeln“, wie man es bereits von den Pressekonferenzen kennt, auf denen er seine neuesten Erfindungen vorzustellen pflegt: Kakao-Inhalatoren, Geld aus Luft, Molchrennbahnen mit angegliederter Shopping Mall. „Ich glaube, ich habe das einfach geträumt und dann in dem ganzen Untergangsstress Traum und Realität durcheinander gebracht. Das kann schon mal passieren.“

Wir nicken. Denn hier wird auf Anhieb klar: Dieser Mann macht keine halben Sachen und handelt höchst verantwortlich. So auch beim Bau einer mit Pupsgas betriebenen Rakete aus Pappmaschee. Obwohl für einen bemannten Flug zum Merkur geplant, testete er das Flugobjekt umsichtig ohne Besatzung. Ein genialer Schachzug, denn der mit gesammelten Weinkorken hitzefest gemachte Flugkörper stürzte nach hundertfünfunddreißig Metern wie ein nordkoreanischer Atomsack in das kalte Brackwasser der Bucht von Løffel.

Seine vierzig Mitstreiter, die er aus diversen Mentalgenesungsheimen zwischen Bøllerbø und Hengstenberg rekrutiert hatte, hatten offenbar gepfuscht. Dass er sich daraufhin logischerweise von ihnen trennte, kleidet der „Spiegel“ in die diffamierenden Worte: „Aber mit Menschen hatte er es eben nicht so.“

Sogar die Presse ist also in die infame Hetzjagd involviert und lässt sich bereitwillig vor den Karren eines korrupten Polizeiapparates spannen. Das Intrigengespinst lässt erahnen, wie bemüht die dänische Polizei ihre Vorwürfe konstruiert. Man fragt sich schon, was hinter diesem sich anbahnenden ungeheuerlichen Justizskandal und den an den Haaren herbeigezogenen Verdächtigungen stecken mag. Ist es Neid? Gibt es womöglich politische Direktiven von ganz oben in Gestalt des dänischen Ministerpräsidenten Lars Løkke Rasmussen oder gar der Königin? Denen schließlich völlig klar ist, dass sie ihre Posten sofort in die Tonne treten können, sobald es einem Genius wie Madsen auch nur entfernt in den Sinn käme, selbst danach zu greifen.

Die Art und Weise wie einem „Verdächtigen“ das Wort im Mund herum gedreht und aus einem Nichts hanebüchene Vorwürfe gedrechselt werden, erinnert an türkische Verhältnisse. Kim Wall würde das gewiss nicht wollen. Die Reporterin, die schon „an vielen gefährlichen Orten gearbeitet hat“ (AP/taz), wusste um das Risiko. Gefahr war für sie ein integrativer Bestandteil ihres Lebens; an Bord der Nautilus zu gehen, war quasi eine Einverständniserklärung, dass dort alles passieren konnte.

„Ich habe Kim eingeschärft, sie solle bloß nichts anfassen“, erläutert Madsen weiter. „Das Boot ist nun mal vollgestopft mit gefährlichen und scharfkantigen Gegenständen. Aber sie wissen ja“, er lacht, „Journalisten sind wie kleine Kinder. Gerade das, was sie nicht dürfen, zieht sie immer ganz besonders an.“

Der bis dahin so locker und aufgeräumt wirkende Edelschrauber wirkt nun doch fast ein wenig nachdenklich, als er zu der Schilderung des eigentlichen Unfalls kommt. Wie die junge Frau erst mit den Armen unglücklich in eine zufällig herumstehende Turbine, dann mit Beinen und Kopf in eine laufende Kreissäge gerät, und schließlich wie ein geköpftes Huhn aus dem Boot rennt (ohne Beine? Aber gut, das sind kleinliche Details) und am Ende in die nächtliche Ostsee springt.

„Dabei hat sie dann auch noch einen Ballasttank beschädigt“, sinniert Peter Madsen. „Das ist bestimmt das letzte Mal, dass ich Pressevertreter auf mein U-Boot lasse.“