Es ist als hätte ich Güte gesät und Harmonie geerntet
Seit neuestem kann ich über nicht weniger als zwei (!) Fälle versöhnlichen Miteinanders berichten, in die ich nicht nur involviert, sondern deren treibende Kraft ich sogar war. Vielleicht werde ich ja auf meine alten Tage noch handzahm, es kann aber auch an der Jahreszeit liegen. Das in den Sonnenstrahlen enthaltene Vitamin D brennt sich durch die Haut und weicht in der Seele langsam aber sicher die dicke Schicht aus gehärtetem Hass auf, die ich mir über die Jahre zugelegt habe.
Fall 1. Ich möchte am Ufer das Auto parken. In dem Moment, in dem ich rückwärts in die Lücke fahren will, prescht aus einer Gruppe herumlümmelnder Youngster ein vermutlich spanischer Typ auf mich zu und verwehrt mir das auf Englisch. Einen einwandfreien Parkplatz. Auf öffentlichem Grund. Und wenn die da filmen wollen, muss der Idiot eben besser aufpassen.
Aber gut. Nur wenige Meter zurück ist ja schon die nächste Parkgelegenheit. Seufzend will ich zurücksetzen, da springt mir der Wichtigtuer direkt hinter das Auto und fuchtelt wild mit den Händen. Die Knalltüte will sich offenbar trotz des schönen Wetters überfahren lassen. Ich zeige in Richtung der anderen Parklücke und schreie – sonst hört er ja nichts durch das geschlossene Fenster – „get out of my way“, schreie es in meinem komischen Englisch, weil ich ja viele Sprachen so ein bisschen kann, aber keine richtig, noch nicht mal deutsch.
Endlich tritt der Schwachkopf beiseite. Ich fahre die zwanzig Meter im Rückwärtsgang und parke ein. Alles nur ein Missverständnis. Er dachte halt, ich beharrte unbedingt auf meinen Willen – meine Güte, dann wäre ich aber schon lange tot. Ich steige aus, schließe ab und begebe mich in Richtung des Trottels. Und nun geschieht das Merkwürdige. Normalerweise würde ich jetzt der Pfeife noch mal verbal so richtig eine mitgeben. Damit er weiß, wie hier der Hase läuft. Doch ich höre mich sagen: „Sorry for being angry.“
Anschließend gehe ich weiter und spüre meinen Worten nach. Wie sich das anfühlt. Ich schwebe wie auf Wolken und merke, dass mich mein eigenes Verhalten nachhaltig rührt. Ein einziges Mal habe ich nicht losgepöbelt wie ein Bierkutscher und wie reich wird meine Seele gleich dafür belohnt! Alles fühlt sich so weich an, alles fließt. Die Vögel singen mir ein Loblied. Wenn ich das früher gewusst hätte, hätte ich nicht zwei Drittel eines gesamten Menschenlebens oder so damit verbracht, schlechte Stimmung zu verbreiten. Schade. Warum hat einem denn bloß keiner was gesagt?
Ich war permanent auf dem Holzweg. Vermutlich neidete ich den Jüngeren nur ihr längeres Leben und war deshalb immer so gemein zu ihnen. So ein Unsinn. Wenn ich unter meinen Radieschen fröhlich vor mich hinpfeife, weil ich es überstanden habe, wartet auf sie die Hölle: Sandstürme, Überschwemmungen, die Bienen sind tot, stattdessen überall Mücken, alle sind rechts, die Schrippen heißen Weckle. Ihre eigenen Muttis haben ihnen das eingebrockt, weil sie sie täglich mit dem SUV in den Kindergarten gekarrt haben. Was sie verdienen, ist mein Mitleid und meine Nachsicht.
Am nächsten Tag kann ich die neu erworbenen Soft-Skills gleich schon wieder anwenden: Ein älterer Hirni versteht die Kassenschlangenordnung bei Karstadt nicht und drängt sich vor. Selbstverständlich denke ich sofort, „du asoziale Drecksau“, und knirsche mit den Zähnen. Doch auf einmal schiebt sich erneut dieser rosafarbene Schleier vor mein Gemüt. Er hat das System halt nicht durchblickt. Kein Grund für mich zum Ausrasten. Und sowieso habe ich Zeit.
Da passiert etwas Wunderschönes. Nachdem der Vollpfosten bezahlt hat, dreht er sich um, sieht mich und erschrickt: „Hab ich mich jetzt vorgedrängt? Verzeihen Sie. Sie sind jetzt böse, stimmt’s?“ Es ist als hätte ich Güte gesät und Harmonie geerntet. Ich beschwichtige ihn mit sanften Worten: Ich sei nicht böse, keinesfalls, jedenfalls schon längst nicht mehr, das sei doch nicht weiter schlimm, er, der Asi, habe es ja nicht böse gemeint, das sei hier ja auch alles nicht leicht, für niemanden, alles gut.
Wir sind in dem Moment beide den Tränen nah. Uns umspült ein warmes Schaumbad der Nähe, des Erkennens und der tiefen Menschlichkeit. „Das ist fast wie Sex“, denke ich unwillkürlich. Denn darin liegt das Geheimnis der Zufriedenheit und des Wohlbefindens: einfach immer nur scheißnett zu dem Gesindel zu sein. Auch zu Nazis. Gerade zu Nazis und besonders am achten Mai. Ein Lächeln kostet so wenig und der freundlich dahingeworfene Satz, „bestimmt gewinnt ihr dafür den nächsten Krieg“, kann ein vergnügtes Strahlen in so manches verhärmte Gesicht zaubern. Und dann wird sie derselbe Sinneswandel ereilen, den ich nun bereits hinter mir habe.