Ein ernstes Thema

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Mal was Sinnvolles schreiben. Wie so’n Schriftsteller mit Rollkragenpullover. Ein Meinungsstück, das schwerblütig mit „meines Erachtens“ beginnt und mit „die Geschichte wird über uns richten“ endet. Statt meiner üblichen Lyrics wie „gestern an der Kasse bei Edeka, hihi haha“, „ich einsamer alter Mann auf meinem Balkon, buhu buhu“ oder „höhö, ich hab gepupst – Arschloch, Fotze, Ficken“, endlich mal einen Text, der echte Inhalte transportiert, zum Nachdenken anregt, am Ende vielleicht sogar etwas bewirkt, und sei es nur als Auftakt zu einer winzigen Veränderung.

Die Sehnsucht nach mehr Ernsthaftigkeit entstand im Frühjahr. Terroranschläge, Syrien, Flüchtlingselend, AfD. Ich fragte mich zunehmend, warum ich meine Arbeit nicht in den Dienst an der Wahrheit stellte, sondern stets nur fröhliche Unterhaltungsscheiße ohne Nähr- und Mehrwert fabrizierte. Das war ja „noch nicht mal Satire“ wie die Klügsten unter den Klugen in den Kommentarspalten festzustellen wussten.

Klar, könnte man auch sagen, Wortkunst, selbst sinnarme; Komik, selbst seichte; Zerstreuung, selbst unpolitische, behalten jederzeit ihre Berechtigung ebenso wie Kino, Fußball, Malerei, Kochkunst, Erotik, Kreuzworträtsel als legitimer Ausgleich, um Energie für den Ernstfall zu schöpfen. Nur das Theater mit seinem hysterischen Relevanzzwang simuliert eine Bedeutungsschwangerschaft im zehnten Monat und das Publikum muss bei der schweren und blutigen Geburt dabei sein.

Aber mir ging mein eitles Geschnatter plötzlich selber auf die Nerven, und so war ich zunächst froh, als immerhin zwei oder drei Aufträge für Artikel gegen rechts eintrudelten. Was sich jedoch schnell als Augenwischerei entpuppte: In einer linken Zeitung zu schreiben, wie doof Nazis sind, bedeutet nicht nur, Eulen nach Athen zu tragen, sondern Athen mit einer springflutartigen Eulenplage zu überziehen, einer regelrechten Eulenpest, überall wimmelt es bloß so von Eulen, die Eulen fliegen den Leuten in Mund und Augen, krallen sich schauerlich heulend in die Haare, keiner traut sich mehr auf die Straße, nur noch Autos mit geschlossenen Fenstern quälen sich durch dicke Wolken flatternder Eulen, es müssen Billionen sein, die die Sonne derart verfinstern, dass am Tag das Fernlicht eingeschaltet werden muss, links und rechts der Straße türmen sich die von den Fahrzeugen beiseite geschobenen Eulen zu immer höheren Wällen auf, Straßenreinigung, Armee und Katastrophenschutz sind völlig überfordert, doch trotz aller Vorsicht sind sie längst auch schon in den Wohnungen der Menschen, kaum öffnet man den Kleiderschrank: schuhu, schuhuu!, den Klodeckel: schuhuu, schuhuuu!, im Küchenregal, im Kühlschrank, in Lebensmittelbehältern, in Lampenschirmen, in Kleidung, Bauchfalten, Schamhaar, After, Zahnzwischenräumen sammeln sich lebende Eulen, tote Eulen, Eulenreste, Kehrschaufeln sind längst ausverkauft und ebenso Eulensprays, Verbrennen, Vergraben, Ausstopfen, man wird der Masse einfach nicht Herr, übrigens sind auch die Mäuse ziemlich sauer … was wollte ich sagen … genau, eben deshalb folgt an dieser Stelle tatsächlich mal ein ungewohnt sachlicher Text zu einem ernsten Thema.

Meines Erachtens ist die in Berlin vorherrschende Rücksichtslosigkeit rechtsabbiegender Autofahrer gegenüber radfahrenden Verkehrsteilnehmern ein Skandal. Diesen prangere ich an, um das allgemeine Bewusstsein für die Problematik zu schärfen und so zum Umdenken beizutragen.

Das wird schwer genug, denn was mir hier, im Vergleich zu jedem anderen Ort, an dem sich Räder drehen, seit jeher ins Auge fällt, ist das erschreckende Unvermögen, das der durchschnittliche Berliner bei seinem mehr als dilettantischen Versuch, ein Kfz zu führen, an den Tag legt. Diese einzigartige Gemengelage aus zu schlecht, zu schnell, zu rücksichtslos, unflexibel, rechthaberisch, latent mordlustig und stets die Hupe der Bremse vorziehend, dürfte weltweit einzigartig sein. Und bevor mir jetzt wieder irgendeiner dieser Pfuscher weinerlich die Kompetenz abstreitet: Ich fahre hier seit über dreißig Jahren sehr viel mit dem Rad und sehr viel mit dem Auto.

Auch kennt der Berliner schlicht die Verkehrsregeln nicht. Geschätzte achtzig Prozent der Rechtsabbieger rauben dem geradeaus fahrenden Radler die Vorfahrt, von den restlichen zwanzig Prozent bremst die Hälfte soeben noch im letzten Moment, um ihn anschließend ebenso wüst zu beschimpfen wie es zuvor bereits die achtzig Prozent getan haben. Enttäuschung über das Misslingen des Tötungsversuchs, Unterficktheit, Schulden, Zahnschmerzen oder sonstiger Frust – wer möchte den Grund überhaupt wissen? Ich jedenfalls nicht.

Oder vielleicht doch? Nach unabhängigen Informationen mehrerer mir bekannter Fahranfänger gilt an Berliner Fahrschulen der Radfahrer wahlweise als ärgerliches Hindernis, komplizierter Versicherungsfall, nervtötender Schreihals, Fahrerfluchtgrund, potentieller Straßenbelag und Risiko für Lack und Stoßstange, doch niemals als Partner im Verkehr. So fluchte erst kürzlich ein jüngerer Kollege, ansonsten eigentlich ein anständiger Mensch, darüber, wie viele unaufmerksame Radfahrer auf dem Herweg doch tatsächlich versucht hätten, ausgerechnet da, wo er mit dem Auto rechts abbog, sich böse schreiend an ihm vorbeizuquetschen. Er wirkte ehrlich empört.

Selbstverständlich war früher nicht alles besser. Es gab weniger Autobahnen und fast hätte die RAF unser Land erobert und dann alle Intellektuellen in die Kartoffelfelder zum Arbeiten geschickt, wo sie jämmerlich krepiert wären. Aber die Fahrausbildung war offensichtlich besser. Im Verkehr der kleinen Kreisstadt, in der ich meine vorgeschriebenen „Stadtfahrten“ abriss, waren Radfahrer Mitte der 80er kaum von Bedeutung. Dennoch wurde mir die Rücksichtnahme auf Radler beim Rechtsabbiegen derart eingetrichtert, dass ich heute noch nicht mal eine rechtsdrehende Autobahnauffahrt ohne Schulterblick absolviere.

Hui, war das jetzt ernsthaft. Dabei erwarten meine wenigen treuen Fans natürlich eine gewohnt humorvolle Lösung von mir oder wenigstens ein Mindestmaß an Zynismus und Menschenverachtung. In ihrer Situation (alle drei lebenslängliche Sicherungsverwahrung) ist nun mal jeder Anlass für ein kleines Schmunzeln höchst willkommen. Also gut: In der Hölle treffen sich ein Selbstmordattentäter und ein Rechtsabbieger. „Was machst du denn hier?“ Fragt der Rechtsabbieger.