Bei Edeka scheint das göttliche Inferno angebrochen, doch der Kundige weiß: Es ist Gründonnerstag und das hier nur die Vorhölle. Denn Ostersamstag werden wir erleben, wie es wirklich aussieht, wenn der Zivilisation endgültig das ohnehin schon reichlich dünne Kleid von den ausgemergelten Schultern fällt, und sie entblößt vor uns steht, so dass wir alles sehen. Aber jetzt keine rasierte Muschi oder so, sondern: die Angst, die Wut, den Hass und den tierischen Instinkt, den Konkurrenten um des eigenen Vorteils Willen zu töten, ihm die Achillessehne gezielt mit dem Einkaufswagen zu durchtrennen oder die letzte Milch und den letzten Apfel vor ihm aus dem Regal zu raffen. Nur Schokoladenosterhasen gibt es noch mehr als genug. Doch wer will alleine davon leben?
Kundig ist hier offensichtlich keiner. Jeder sieht sich von der Wucht der Erkenntnis wie von einem Blitzschlag aus heiterem Himmel gefällt: Dass nämlich dieses Jahr der Karfreitag ausgerechnet auf einen Freitag fällt, so dass nach nur einer kurzen Verschnaufpause vom Nichtkonsum am Samstag, dann wegen des Sonntags und des Ostermontags gleich noch zwei einkaufsfreie Tage folgen: Wer soll das um Gottes Willen überleben? Und werden die Läden jemals wieder aufhaben?
Natürlich. Donnerstag, Samstag, Dienstag. Wie dumm sie sind. Ihre gehetzten Mienen schreien nur einen einzigen Satz, der da lautet, „wir werden alle Hungers sterben“, doch den dafür wiederholt, wohl an die tausend Mal, während sie immer verzweifelter durch die leergeräumten Regalreihen tigern. Theoretisch wäre es ja durchaus auch möglich gewesen, ein paar Tage vor dem Ostertrubel für die ganze Woche einzukaufen. Nur dazu müsste die Horde mit Gehirn gesegnet sein, und das ist sie nicht.
Stattdessen stehen sie hier, mit leeren Händen und anklagendem Blick, und verfluchen Gott. Und Jesus. Und den Heiligen Geist, die Suppe. Die sind schuld. Ohne die wäre das jetzt nicht so, die haben uns mit ihrem merkwürdigen Stunt in die Scheiße geritten; Weihnachten schon genauso.
Und die Menschen haben auf das falsche Pferd gesetzt. Würden sie doch nur an den Teufel glauben, dann hätte garantiert rund um die Uhr alles auf, immer, nonstop, 24/7, 365/2019. Der hält seine Wahlversprechen. Ein Liter Schnaps für neunundfünfzig Cent. Gummibärchen in Teufelsgestalt. Lustige Brillen, durch die man alle Anderen nackt sehen kann, jedenfalls sieht es so aus. Bei dem würden die Auslagen am Ostersamstag nicht schon ab 15 Uhr wirken wie in einer Kaufhalle 1979 im Bezirk Suhl.
Ich selbst bin ja zum Glück nur hier, um mir das anzusehen. Und, mit mildem Spott und durchaus auch ein wenig angewidert angesichts dieses Offenbarungseids der menschlichen Moral, mich einfach nur nochmal dessen zu vergewissern, was ich doch ohnehin längst weiß: Dass ich vermutlich der einzige Mensch auf der Welt, ganz sicher aber hier im Laden bin, der sich komplett unkorrumpiert und autark außerhalb des Käfigs Kapitalismus bewegt. Niedere Anhaftungen wie Geiz und Gier sind meiner Persönlichkeit vollkommen fremd. Ich brauche nicht viel. Mein Herz ist frei und meine Seele schön.
Aber da ich ja nun schon einmal hier bin, um die bedauernswerten Würmer zu beobachten und still für sie zu beten, kann ich mir natürlich ebenfalls ein paar Dinge besorgen. Da nervt es dann in der Tat schon auch ein wenig, dass alles so leergekauft ist. Natürlich reagiere ich nicht mit derselben Hysterie wie die Leute. Nur ein leicht verächtliches Lächeln umspielt meine Lippen. Warum bestellen und lagern die nicht mehr Waren? Sind die denn alle blöd? Das fragt man sich schon.