Wie ich mal einen Porsche überholt habe

Es besteht kein Zweifel: Wir überholen gerade einen Porsche.

Noch 540 Kilometer bis Berlin. Ich habe einen Lastwagen überholt, und dahinter taucht rechts neben mir ein Porsche auf. Er fährt schätzungsweise an die 120 Stundenkilometer schnell, und ich ungefähr einen Meter pro Stunde schneller. Es besteht kein Zweifel: Wir überholen gerade einen Porsche.

Zwar nur so einen Cheyenne, der aussieht wie alle andern SUVs, egal ob Dacia, VW oder Audi; ich weiß also gar nicht, wozu die Idioten sich dann einen Porsche kaufen, bestimmt machen die dann auch Glühwein aus Champagner, aber das kann mir doch scheißegal sein: Es steht Porsche drauf, ist Porsche drin, das zählt. Ich quieke laut auf vor wilder Freude. Der Fahrtwind zaust mein volles Haar und mein leeres Hirn.

Meine Frau möchte mir was vorlesen. Das ist nett gemeint, aber absolut der falsche Zeitpunkt. „Ich kann jetzt nicht, Frau“, schreie ich. „Ich muss mich konzentrieren: Wir überholen gerade einen Porsche.“

Sie blickt gleichgültig aus dem Beifahrerfenster: „Du meinst diesen hässlichen Muttipanzer da draußen?“

„Das ist ein Porsche.“ Ich bin heiser vor Aufregung. „Ein Cheyenne. Heißt wie ein Mädchen aus Hakenfelde, ist aber ein Porsche.“

Endlich ist sie still, und mühsam überholt das Schleichhörnchen. Ich könnte natürlich schneller fahren. Theoretisch sogar 150 oder so. Aber das will ich nicht. Es ist nicht vernünftig wegen Verbrauch und Umwelt und Gefahr und Alter von dem Auto. Das läuft schon bei 120 km/h auf 4000 Umdrehungen, und gleicht darüber einem All-Inclusive-Urlauber an der türkischen Riviera: laut und versoffen.

Deshalb halte ich mich immer strikt an meine eigene Richtgeschwindigkeit von hundertzwanzig. Denn wenn man da erst mal den Schlendrian einreißen lässt, und nicht ehrlich mit sich selbst bleibt, brechen bald alle Dämme: 125 km/h, 250 km/h, 1000 km/h. Als nächstes Ölwechsel im Naturschutzgebiet, extra vollstoff durch Krötenwanderungen matschen, Fracking und am Ende Mord? Wehret den Anfängen.

Doch behutsam gebe ich Gas: 120,5 km/h. 121 km/h. Wahnsinn, dass die Maschine das mitmacht! Ich kann mich nämlich auch flexibel den Umständen anpassen. Denn wäre ich wirklich so ein überkorrekter Strohmann, wie sie rechte Kabarettisten gerne aus viel Stroh und wenig Mann bauen, würde ich für immer neben dem Porsche verschimmeln. Weil ich ja, so stellen sich das diese Leute jedenfalls vor, wie paralysiert in meinem Wohlverhaltensdogma feststeckte, und keinen Ausweg aus dem Dilemma fände. Ich würde ihn weiter wie eine Schnecke überholen, stundenlang, ohne sichtbaren Fortschritt, bis er von der Autobahn abfährt. Ich kann ja nicht weg, ich bin ja auf der Überholspur. Und so blieben beide Autos in diesem Patt gefangen, wenngleich der Andere wahrscheinlich nicht das geringste von dem Drama ahnt, sondern sich einfach nur nicht stressen und in Ruhe Classic Radio hören möchte.

Weitaus realistischer wäre es jedoch, dass mich bis dahin längst so ein Rasernazi erst mit der Lichthupe anzählt und dann mit dem Kühlergrill von der Überholspur räumt. Die sind ja immer so ungeduldig. Sie haben kein Auge für die Schönheit des Vorgangs und die Größe des Moments, für dieses herrliche Ringen zwischen David und dem schlafenden Goliath.

Vor denen habe ich echt Angst. Es wäre mir deutlich angenehmer gewesen, hätte man hinter mir die Autobahn gesperrt, damit ich in aller Ruhe überholen kann. Doch ich fürchte, das gibt die Gesetzeslage nicht her. Die müsste überhaupt viel besser auf meine Bedürfnisse zugeschnitten sein: kostenlose Badeentchen, alle Wege nur bergab und draußen nicht nur Kännchen. Aber ich zähle ja offenbar nicht.

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