Stilbruch

Wegen einer mehrtägigen Dschungelwanderung muss ich sie mir nun wohl doch zulegen: Trekkingsandalen mit Klettverschluss. Mein Leben lang habe ich mir geschworen, dass ich so etwas niemals anziehen würde, no way, eher pinkel ich mir in die Jogginghose und mach dazu den Hitlergruß.

Besonders eitel bin ich eigentlich nicht, das kann ich mir auch gar nicht leisten. Es mangelt an Stil, Geschmack und Geld. Außerdem ist mir eine gut gefüllte Gemüseschublade allemal wichtiger als der hilflose Versuch, als wandelndes Zierpüppchen zu reüssieren.

Wahre Schönheit kommt ohnehin von innen. Damit man das auch merkt, greife ich mir morgens immer nur irgendwelche Kleidungsstücke vom „Sachenstuhl“, wie ich das Tool für meinen „Sachenhaufen“ nenne, diesen Berg bereits getragener Klamotten, deren Hautgout mir noch nicht wäschereif genug erscheint. Da muss man manchmal schon etwas länger abwägen, was noch geht und was nicht: Geruchskategorie eins, zwei oder drei? Kommt ja auch drauf an, was man vorhat: eine Party, ein Arztbesuch oder einfach bloß Lesebühne? Da reicht natürlich Schnupperklasse III. Ab und zu liegt man mit der Entscheidung trotzdem mal daneben.

Ich gucke schon längst nicht mehr, was auf dem T-Shirt steht, das Kamerad Zufall mir nachlässig in die Hand drückt. Ob pseudowitziger Spruch oder das Merch einer vor Jahrzehnten pensionierten Band: So richtig altersgerecht erscheinen mir die bunten Fetzen ja nicht mehr, doch wenigstens ernte ich dafür zuweilen nette Blicke. Das heißt, natürlich denke ich zuerst, klaro, una admiradora, was sonst, und was für ein megageiler Typ ich wäre, und dann galt das Lächeln doch wieder bloß dem T-Shirt, auf dem „Volldepp“ oder „Ballermann“ steht, aber immerhin besser als gar nichts.

Ganz davon abgesehen müsste ich, um ein einfarbiges Shirt zu finden, den Sachenhaufen vorher durchsehen. Das wäre viel zu aufwändig. Schließlich muss ich schon dran riechen, das reicht. Ebenfalls ein wenig aus dem Lebensalter gefallen sind im Sommer kurze Hosen und dazu einfach bloß so Flipflops.

Lustigerweise sind es nicht selten dieselben Leute, die sich gegen Schönheits- und Modediktat aussprechen, die dann „ihh, diese hässlichen behaarten Beine von ollen Typen in kurzen Hosen“ lästern und Flipflops soll man auch nicht tragen, das ist anscheinend irgendwie nicht schön oder nicht lässig genug oder weiß der Geier was.

Dabei reden sie reden mal eben, ohne mit der Wimper zu zucken von „irgendwelchen alten Säcken“, obwohl ich direkt daneben stehe, so, als ob mich das nicht beträfe, ich unverletzlich, taub, entmündigt oder tot wäre. Aber vielleicht bin ich in ihren Augen auch einfach nur ein Arschloch, das es nicht anders verdient hat – das kann natürlich sein. Ich laufe trotzdem rum, wie ich will – die können nicht auf der einen Seite einfordern, es stünde jedem frei, sich nach gusto einen Minirock oder einen Kartoffelsack anzuziehen. Nur „alte Säcke“ sollen eben doch bitte Burka tragen oder wenigstens lange Hosen. Und Socken. Aber ohne mich. Sollen die Leute doch tuscheln und meinen und denken und finden. Ihr Spott ist meine Kraftnahrung, ihre Verachtung macht mich stark.

Nur Trekkingssandalen gehen wirklich gar nicht. Genau da ist die Grenze, das ist der Sündenfall. Der HERR sprach, „Leute, ihr seid hier nicht auf La Gomera“, und schmiss Adam und Eva aus dem Paradies. Die Trottellatschen sind der Offenbarungseid, eine Kapitulation vor sich selbst und der Abschied vom letzten Rest Menschenwürde. Für Jüngere noch irgendwo zwischen Outdoor und Kirchentagsbesucher angesiedelt, sind sie ab vierzig das endgültige Symbol jener spröden Spielart von Altenteil, in der sich graue Paare mit resignierten Mienen gegenseitig hartgekochte Eier zufüttern; die beigefarbene Funktionskleidung tragen und in einem fort Sätze sagen wie, „Männer und Frauen sind nun mal verschieden“, „neulich ist in Wilmersdorf schon wieder jemand überfallen worden“, „jetzt freu ich mich erst mal auf nen schönen heißen Tee“, „die haben ja auch eine ganz andere Kultur“, „den jungen Menschen fehlt einfach die Erfahrung“, „die Ausländer fahren alle zu schnell“, und dazwischen immer wieder, „ich würde mich gerne mal hinsetzen.“ So ein verhärmter Pastell-Zombie wollte ich bitte erst nach meinem Ableben werden. Aber wahrscheinlich ist es einfach schon so weit.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert