
Im Bioladen erwartet mich ein Schock: Wo sonst immer der gute Crémant für 15 Euro steht, klafft nur eine hässliche Leerstelle im Regal. Vorübergehend ist mein ganzer Lebensmut dahin – ich fühle mich wie ein Luftballon, aus dem auf einmal sämtliche Luft entwichen ist. Doch dann straffe ich mich. Woanders herrscht Krieg und Hunger. Wenn man sieht, mit wie viel Zähigkeit und Mut die Leute dort ihr Los ertragen, kann ich das auch versuchen.
Also mache ich den Umweg von locker drei Minuten rüber zu dem großen REWE, der ja ebenfalls ein paar passable Tröpfchen im Angebot hat, und nicht nur diesen pissigen Sieben-Euro-Crémant de la Loire, mit dem wir immer die Scheibenwischanlage befüllen, seit unsere Peers von der Jungen Union erzählt haben, dass das den Vogeldreck besser wegätzt als einfaches Wasser, zum Beispiel von Gerolsteiner oder Apollinaris. Da gibt es noch mindestens vier weitere ganz okaye Sorten zwischen 12 und 17 oder 18 Euro, weiß nicht so genau, ist ja auch egal jetzt. Wenn du keine Plörre trinken willst, darfst du eh nicht auf den Cent schauen.
Und dann haben die alle (!) Marken ebenfalls nicht. Das ist schon krass. Ist ja Montag, die Regale sind leer. Langsam ist die Kacke aber mal so richtig am Dampfen. Ich spüre, wie sich mir ganz komisch das Herz zusammenschnürt, das hat fast schon was von einer Panikattacke. Eine psychische Ausnahmesituation, die ich meinem ärgsten Feind nicht wünsche. Was soll ich denn jetzt tun? Soll ich zu den Jakobsmuscheln Craft-Bier saufen?
Ich habe keine Ahnung, was da noch immer mit den Lieferketten los ist. Engpässe, Engpässe, Engpässe. Und mit dem neuen Carbon-Spoiler für unseren Porsche ist es genau dasselbe. In der Werkstatt sagen sie, der kommt einfach nicht, obwohl sie dreimal nachgehakt, und dabei jedes Mal hundert Euro mit in die Mail reingelegt haben. Seit drei Wochen fahr ich deshalb schon in so einem schäbigen Leasing-A6 durch die Gegend – die Nachbarn tuscheln schon. Spätestens seit der Pandemie knirscht überall der Sand im Wirtschaftsgetriebe. Nichts funktioniert mehr; frische Thunfischsteaks auf dem Winterfeldmarkt sind manchmal schon mittags ausverkauft. Man kommt sich vor wie ein Idiot.
Mangel allerorten, ob Hilfsgüter für die Hungernden, Flugabwehrraketen oder vernünftiger Crémant. In der Beziehung sitzt die Menschheit ausnahmsweise echt mal in einem Boot. Der Verzicht ist zur universellen Grenzerfahrung geworden. So was erdet ja auch. Ich kann nun endlich nachvollziehen, wie sich das anfühlt, wenn irgendwo die Lebensmittel nicht verteilt werden können. In dem Moment denkst du, dir schlägt da einer immer wieder mit dem Hammer auf den Kopf. So geht es mir zumindest ohne den Crémant. Ich könnte echt heulen.
So schlimm die Zustände dort sind, aber die Leute im Sudan haben das Problem immerhin nicht. Das muss man schon mal sagen. Die ahnen gar nicht, was das mit einem macht, wenn die hochgeschraubten Ansprüche – für die man ja nichts kann, weil man praktisch machtlos zusehen muss, wie die fatale Spirale des Wohlstands quasi von selbst eskaliert –, ständig enttäuscht werden. Das Ausmaß dieser seelischen Belastung können die sich nicht vorstellen.
Im Grunde beneide ich alle unbehausten Menschen für ihr unkompliziertes Leben. Die haben nicht den Mordstress mit der Hausverwaltung und den anderen Eigentümern, nur weil wir in der Remise im Hof eine Sauna einbauen wollen, die wir über Airbnb auch zusätzlich als Gästezimmer vermieten können. Kein Haus, kein Ärger. Und wer braucht schon einen Kühlschrank, wenn es keinen akzeptablen Crémant mehr gibt?