Beim Fußballspielen geht mal wieder irgendeine Kleinigkeit kaputt. Die übliche Materialermüdung. Der siebte Psalm Schweinsteiger: Je weiter sich die Grube öffnet, desto mehr macht der Muskel zu. Als ich nach einer schlaflosen Nacht kaum laufen kann, beschließe ich, der Sache ernsthaft nachzugehen. Zu dem Orthopäden, zu dem ich lieber nicht will, kann ich frühestens Ende der Woche, zum anderen, zu dem ich will, in dieser Woche gar nicht mehr. Folglich ziehe ich den beliebten Joker: Urban-Krankenhaus. Wenn die überhaupt was können, so spricht der Volksmund, dann Orthopädie.
So ganz wohl ist mir dabei allerdings nie. Weil ich denke, im Krankenhaus sind ja oft auch Leute, die wirklich so richtig krank sind. Und dass die Ärzte vielleicht genervt sind, wenn da so ein Halbhypochonder rein schneit und ihnen die Zeit mit seinem Zipperlein stiehlt, während um sie herum die Opfer von Pest, Cholera und Autounfällen um Hilfe kotzen.
Auf der anderen Seite zahle ich Kassenbeiträge auch fürs Krankenhaus und wenn ein Notfall einträfe, ginge der sowieso vor. Und wer möchte mir verübeln, dass ich eine Diagnose gern noch vor meinem Ableben hätte? Oder wer legt die Grenze fest, oberhalb derer eine Erkrankung als schwerwiegend genug gilt, um zum Aufsuchen eines Hospitals zu berechtigen?
Also fahre ich hin. Bei der Voraufnahme kriege ich so ein VIP-Bändchen ums Handgelenk mit Vorgangsnummer, Namen, Geburtsdatum und mutmaßlichem Geschlecht. Beringt wie ein Vogel werde ich von Station zu Station flattern, alles wird haarklein dokumentiert. Aber, ich sach ma, besser ein Bändchen am Arm als ein Zettel am Zeh. Außerdem finde ich das Teil auch ziemlich schick. Echte Urban Art und eigentlich auch ein fancy Festival-Bändchen. Roskilde ’88 – Vivantes ’16: Der Kreis schließt sich. Das lasse ich jetzt immer dran, dann weiß ich auch nach feuchtfröhlichen Nächten noch, wer ich bin.
Nach drei Stunden im Wartebereich werde ich endlich nach hinten gerufen. Sofort hat mich mein schlechtes Gewissen wieder, denn im Korridor zu den Behandlungszimmern liegen echte Kranke zu Dutzenden gepfercht. Kranke, die aber mal hallo herzlich kacke aussehen, alte Kranke, ganz Kranke, kranke Kranke, vielleicht auch Sterbende – man steckt nicht drin, zum Glück. Es sieht aus wie in einem Feldlazarett vor Königsberg, kurz bevor die Rote Armee einreitet. Und ich komme hier mit so einem Wehwehchen. Mein Hinken muss diesen Ärmsten der Armen erscheinen wie ein leichtüßiges Tänzeln. Das würden sie sich wohl wünschen: noch einmal humpeln zu können, statt nur rumzuliegen.
Ich sitze noch nicht lang im Zimmer, als ein Mädchen um die Ecke kommt. Ich brauche kurz, bis ich begreife, dass das die Ärztin ist. Au Backe, bin ich alt geworden. Sie ist so süß, dass mir allein vom Anblick beinah schlecht wird. Zuckerschock. Besser gesagt, schlecht werden könnte, würde sie nicht so viel natürliche Autorität ausstrahlen – sie hat hier schließlich zu arbeiten. Die Stimme fest und sachlich, fragt sie nach meiner lächerlichen, kleinen Malaise, verzieht keine Miene bei meinen Antworten und trotzdem vermeine ich stets die Frage im Raum zu spüren, was jemand wie ich denn hier will. Im Krankenhaus.
Sofort komme ich mir wieder vor wie ein Scharlatan. Unter diesen Vorzeichen hat die Liebe nicht die geringste Chance, ihre Fäden aus giftiger Seide zu einem unentrinnbaren Kokon tödlicher Zweisamkeit zu entspinnen. Überhaupt geht nun alles sehr schnell. Ein paar Handgriffe nur, kein Ultraschall und kein Röntgen, und schon hat sich meine Ahnung bestätigt: akute Lappalie mit schmerzbedingtem Schonhinken rechts. Na immerhin Ronaldo hätte geweint.
Was hatte ich mir eigentlich erhofft? Vielleicht eine genauere Ansage über das Ausmaß des Schadens und die Dauer der Heilung. Aber egal. Wenigstens habe ich so endlich mal wieder ordentlich Krankenhausluft geschnuppert. Als ich nach nur wenigen Minuten wieder aus dem Behandlungszimmer hinke, blicken mich die echten Patienten im Gang argwöhnisch an. Doch sie können mir nichts beweisen.