Auf dem Bürgersteig vor der Eisdiele in der Falckensteinstraße prangt ausladend eine frische Kotzlache. Der prachtvoll schillernde Reihersee ist das geradezu archetypische Ideal einer Kotzlache, so dass ich nicht umhin komme, mein Handy zu zücken und die schöne Bescherung abzulichten. Von der anderen Straßenseite beobachtet mich dabei ein jüngerer Typ mit skeptischer Miene. Was hat der denn eigentlich für‘n Problem? Dieser verschissene Sauertopf. Noch ist das hier ein freies Land.
Extra gründlich fotografiere ich die Kotzlache daraufhin aus noch zwei weiteren Perspektiven, und mit verschiedenen Zoom-Einstellungen. Sie ist aber auch ein Prunkstück mit ihren intarsienartig eingestreuten, hübschen, bunten Bröckchen. Im Grunde ist sie das ästhetische Äquivalent zu so einer bilderbuch- oder besser comicartig perfekt gezwirbelten Kackwurst im Look eines frischen Softeises oder Zwiebeltürmchens einer bayerischen Kirche, wie man sie in seinem Leben nur ganz selten hinbekommt, und – die meisten reden zwar merkwürdigerweise nicht offen darüber – dann natürlich ebenfalls fotografiert. Das ist ein Muss, auch wenn man hinterher manchmal nicht auf Anhieb weiß, wohin nun mit dem Bild: soziale Medien, ein gerahmter Papierabzug auf dem Nachtkästchen oder doch lieber in Mutters mithilfe von Rossmanns Calendar-Software liebevoll selbstgebastelten Fotoweihnachtskalender?
Der Gedanke an Weihnachten lässt in meinem Herz die Sonne aufgehen. Plätzchen, Bratäpfel und Schokoladenosterhasen. Dann die Rute. Mein Glück wäre in diesem Moment vollkommen, wäre da nicht die lange Fresse dieses Spielverderbers. Wahrscheinlich denkt er gerade so was ähnliches wie: Wir haben Krieg, und diese Hohlmeise fotografiert hier ne Kotzlache.
Aber das wäre ja einfach nur superpeinlich. Denn was hat bitteschön das eine mit dem anderen zu tun? Allein im Interesse seiner geistigen, seelischen und charakterlichen Gesundheit kann ich nur inständig hoffen, dass er das nicht denkt. Das wäre ja sonst Whataboutism dritten Grades in Tateinheit mit Critical Vomit Anxiety, ein absolutes No-go. Blackfacing ist fast pc dagegen.
Denn schließlich mache ich hier Kunst. Will er die etwa verbieten? Oder noch schlimmer: hinterher verbrennen, und mich gleich dazu? Die Kunst ist frei. Sie kennt keinen Krieg. Sie kennt auch keinen Frieden. Kunst ist im besten Fall dumm, grob und unbestechlich. Also genaugenommen wie ein Türsteher. Kunst ist ja letztlich auch ein Türsteher am Eingang zum Club der toten Dichter, lebenden Maler und untoten Videoperformanceknilche.
Meine Kotzlache ist ein schreiendes Stillleben, das die bürgerlichen Kunstkonsumenten aus ihrer Komfortzone reißen wird. Schwanensee und Sektchen in der Pause: Das ist für euch Kunst, hm? Aber nicht mit mir. Und ihr habt noch Glück: In der französischen Revolution hätte man euch für diese dekadente Einstellung den Kopf abgeschlagen. Bei mir müsst ihr euch nur das Bild eines Kotzetümpels ansehen und den sich daraus ergebenden, unangenehmen Fragen stellen: Hier ging es einem Menschen allem Anschein nach gewaltig schlecht. Und euch geht es im Vergleich sehr gut. Ihr habt ganz offensichtlich Besseres gegessen und getrunken. Ihr könnt euch das leisten. Woher stammen eigentlich eure Privilegien, und wodurch, glaubt ihr, wären die gerechtfertigt?
So, fertig abgelichtet. Jetzt brauche ich nur noch einen Titel. „Foodporn revisited“ gefällt mir. Aber vielleicht ist das auch schon zu wertend. Schließlich muss die Message vom Kunstwerk selbst kommen, und nicht von dessen Schöpfer. Also entscheide ich mich für ein schlichtes „K 2“.