In Teufels Küche

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Es ist ein unbestreitbarer Fakt: Ich weiß fast alles besser als fast alle anderen Menschen. Wie viele Einwohner das Kaff XY hat. Wie die Hauptstadt von Z heißt. Zähneputzen vom Zahnfleisch hin zum Zahn. Und dass man Geflügel immer gut durchbraten soll, wegen der Salmonellen. Solche Dinge, um hier nur Beispiele zu nennen, denn selbstverständlich weiß ich noch viel mehr. Doch ich brüste mich nicht damit. Oft stelle ich mich sogar extra dumm und halte mit meinem Wissen bewusst hinter dem Berg. Man verschafft sich ja schon Feinde, wenn man sagt, was man weiß, weil in der Folge nun der Andere merkt, dass man klüger ist als er. Das können die Leute irgendwie nicht ab. Womöglich fühlen sie sich dann exakt so minderwertig wie sie sind.

Und so kommt es, dass Wissen heute quasi als Verbrechen gilt, bestenfalls noch als zu belächelnde Spießermarotte. Was in der Mode Wollsocken in Sandalen, sind Intelligenz und Bildung unter den persönlichen Eigenschaften. Mit Nichtwissen wird hingegen kokettiert als wäre es eine lässige Lifestyle-Attitüde. Politische Uninformiertheit aus Desinteresse signalisiert der Umgebung, man habe wichtigeres zu tun, z.B. Pokémons zu fangen oder den Vollmond anzupupen. Millionen junger Briten fanden ihre Nichtbeteiligung am Brexit-Diskurs erst ganz doll hip und jetzt sitzen sie da und machen Mimimi. Millionen prekärer und zukunftsängstlicher Bürger wählen AFD, offenbar ohne auch nur einen Blick in deren ultraneoliberales Grundsatzpapier, in dem es beispielsweise Arbeitslosen aber mal so richtig an den Kragen geht, geworfen zu haben, und das sie endgültig zu unerwünschten Randexistenzen (um im rechten Bild zu bleiben: unweit zum Status des guten alten Volksschädlings) stempelt – da können sie so deutsch sein, wie sie wollen. Die ebenfalls im Parteiprogramm verankerten Ansichten zum Klimaschutz sind wiederum derart bizarr, dass man irre vor sich hin kichernde Aluhütchenträger vor dem geistigen Auge hat, aber Hauptsache Ausländer raus. Das alles müsste man einfach nur nachlesen, doch das Lesen ist nicht mehr beliebt. Schreien ist viel angesagter. Die dümmsten Kälber wählen nicht nur ihre Schlächter selber, sondern erklären sie vor ihrem Tod notariell zu Alleinerben, ehe sie ihnen auf der Schlachtbank rasch noch einen blasen.

Dabei ist es doch kein Fehler, sich vernünftig zu informieren – ganz im Gegenteil. Genau das erkläre ich auch den Leuten mit einer Schafsgeduld, dabei höchstens mal ein bisschen lauter werdend, weil Geschrei mögen sie ja offenkundig. Oft entfernen sie sich daraufhin von mir, räumlich und emotional. Sie entfreunden sich analog und für immer; viele Menschen haben anscheinend starke Probleme mit Autoritäten. Echte Checker meines Schlags sind ihnen unheimlich.

Schade. Ich bin nun meistens allein. Hoch oben auf dem einsamen Dachfirst der Erkenntnis ist es kalt, während sich unten, im heißen Partykeller der Dummheit, die Ratten nur so tummeln.

Selbstredend kann ich es auch nicht leiden, wenn mir jemand widerspricht. Das finde ich ganz schauderhaft. Ich mache dann so ein säuerlich gespitztes Mündchen, meine Stirn furcht sich dezimetertief und mir entweicht eine scharf gezischte Zurechtweisung der Natur, dass ich Schlaumeierei auf den Tod nicht ausstehen könne, das Kaff XY laut Wikipedia exakt sieben Einwohner mehr habe als von der dummen Sau mir gegenüber frech behauptet, und es mir dann sogar lieber sei, die Leute informierten sich gar nicht, anstatt immer nur so halb. Denn das ist eigentlich das schlimmste: Wenn zwei sich streiten, von denen einer tatsächlich alles besser weiß und der andere bloß dasselbe von sich denkt. Da kommt man doch in Teufels Küche – meine Freundin kann ein Lied in Fies Moll davon singen. Besser gesagt, meine Ex-Freundin. Man kann nicht nur alles besser wissen, man kann es stets auch besser sagen.