Grün. Grüner. Deutsche Bahn

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Weder Ameisen noch Zauneidechsen halten die Bauleute auf. Beide sind umgesiedelt. So kommt der Ausbau der Bahnstrecke zwischen Berlin und Dresden voran“, schreibt der Tagesspiegel. Der Leser beginnt zu ahnen, warum es mit der seit den neunziger Jahren geplanten neuen Strecke nur sehr langsam vorangeht, aber auch, dass das schwerste Stück des Wegs damit geschafft sein dürfte. Der Rest ist ein Klacks. In zehn Jahren wird die tippitoppi Sausewindverbindung zwischen der Hauptstadt des notorischen Nörgelns und der Metropole der dümmlichen Feindseligkeit fertig sein.

Die Zauneidechsen sind längst in ihrer neuen Heimat und dem Vernehmen nach nicht unzufrieden – zumindest hört man keine Klagen. Da sie sich im Schotter der Gleisanlagen äußerst wohl fühlen, hat die Deutsche Bahn schon vor Jahren provisorisch mehrere Nebenstrecken für sie stillgelegt. Diese Großzügigkeit und Weitsicht zahlt sich nun aus, denn dort finden sich jetzt ideale Habitate für umgesiedelte Reptilien.

Doch mit den roten und gelben Waldameisen war das Verfahren komplizierter. Sie sind klein, sie sind viele und sie sind äußerst anspruchsvoll. Erst dieser Tage sind die letzten Umzugswagen mit Ameisen, die die Umsiedlung zunächst verweigert und zum Teil sogar mit Selbstmord gedroht hatten, unterwegs. Erst nachdem man ihnen zugesichert hatte, mithilfe chinesischer Experten in der Nähe von Blankenburg maßstabsgetreue und bis in die letzten Details der Inneneinrichtung (Klodeckel, Nachttischschränkchen) identische Ersatzhaufen zu errichten, gaben die letzten ihren Widerstand auf. Nur die Klagen zweier hochbetagter Ameisendamen laufen noch. Sollte ihnen stattgegeben werden, müssen sämtliche Schienen wieder entfernt und die frisch errichteten Bahndämme gesprengt werden. Dann bliebe für die Reisenden in Zukunft nur noch der Bus.

Die Bahn spielt hier offenbar auf Zeit und hofft auf ein baldiges Ableben der Klägerinnen. Selbstverständlich hat der Naturschutzbund Deutschland rund um die Uhr mehrere Mitarbeiter mit der Bewachung der beiden Insekten betraut. Denn der Argwohn der Naturschützer ist groß. Sie scheinen der Deutschen Bahn alles zuzutrauen, sogar Mord. Es muss ja nicht wie ein Verbrechen aussehen: Oft genügt es, die Tiere heftig zu erschrecken, indem man direkt neben ihnen mit dem Fuß aufstampft oder auf ihren Bau pinkelt, und schon hätte man freie Bahn. Gegen Geld lassen sich für jeden noch so schmutzigen Job halbseidene Halunken finden, die diesen gern und skrupellos erledigen. Menschliche Mieter in begehrten Innenstadtlagen können von solch mafiösen Methoden längst ein Lied mit vielen hässlichen Strophen singen.

Nicht zu vernachlässigen ist auch bei kooperativen Ameisen die Schwierigkeit, sämtliche Individuen zu lokalisieren und zu informieren, ehe überhaupt an Verhandlungen und Umzug gedacht werden konnte. Denn Ameisen sind nun mal sehr klein und oftmals schwer zu finden. Sie wuseln durcheinander, nicht selten auch noch unter der Erde, und sehen einander für das grobe menschliche Auge obendrein sehr ähnlich. Das bedeutet, dass alle an den Füßen verschiedenfarbig beringt werden mussten, um wenigstens ansatzweise den Überblick zu wahren. Erst anschließend konnten sie mitsamt persönlicher Habe zu den Sammelplätzen gebracht werden, von wo aus schließlich der Transport in die neue Heimat erfolgte.

Daher waren zehntausende freiwillige und auch bezahlte Helfer auf den 125 Kilometern des Neubauabschnitts jahrelang im Einsatz, was eine Steigerung der ursprünglich veranschlagten Kosten um siebzigtausend Prozent zur Folge hat. Nicht, dass die Bahn ohne Bindung an entsprechende Gesetze widerspenstige Elemente aus Flora und Fauna nicht einfach mit dem Flammenwerfer eliminiert hätte – DB ist ja nicht die Abkürzung für Mutter Teresa -, aber immerhin: Sie hat die Herausforderung angepackt und exzellent gemeistert.

Unter diesen Umständen grenzt es an ein Wunder, dass die Arbeiten bereits so weit fortgeschritten sind. Die Verantwortlichen am BER, für dessen Bau bloß eine Handvoll Aufsichtsräte auf adäquate Posten umgesiedelt werden mussten, könnten sich an so viel Akribie durchaus ein Beispiel nehmen.