In der Pause von Fils Show gehe ich runter in den Hof des Mehringhoftheaters, um eine zu quarzen. Nach mehrtägiger Abstinenz kickt die eine mega. Als ich das Treppenhaus wieder hochgehe, befällt mich leichter Schwindel. Das will man ja eigentlich auch, genau dafür sind Drogen schließlich da, sonst könnte man auch hartgekochte Eier essen; doch hinter den Spaß haben die Götter das Restrisiko gesetzt: Oben angekommen gerate ich ins Taumeln, und schlage am Eingang zum Foyer relativ unkontrolliert lang hin. Ich fange mich noch leicht mit Händen und Knien ab, und knalle mit der Kopfkrone zwar hörbar, aber zum Glück nicht allzu hart, gegen die offene Eingangstür.
Die zahlreichen Umstehenden gucken natürlich alle; ich sehe, was sie denken: Weia, was für ein stockvoller Zausel hier herumstolpert; nicht mal bei Kulturveranstaltungen bleibt man von diesen armen Teufeln verschont – wo ist der Sicherheitsdienst / Streetworker / Kältebus / Rettungswagen?
Es ist so peinlich. Ich rapple mich auf, und imitiere ein souveränes Grinsen. „Nichts passiert“, verkünde ich gut gelaunt in die Zufallsrunde hinein. „Bloß meine erste Zigarette seit Tagen“, erkläre ich mich dem Publikum; niemand verlangt das, keiner will das wissen, ich tu’s trotzdem, es wird dadurch nur umso peinlicher, ich reite mich immer tiefer rein, klaftertief, abgrundtief, inside deep shit.
Ein gutgekleideter Typ mit geschmackvoll gestutztem Bart mustert mich kurz, gelangweilt und leicht angewidert. Weder glaubt er mir, noch interessiert ihn, was ich sage. Er kennt mich nicht, und will mich auf keinen Fall kennenlernen. Was faselt dieser elende Trunkenbold? Hoffentlich kommt er mir nicht zu nahe, und beschmutzt mein feinesTuch mit giftigem Speichel, Sekret vom offenen Bein und angetrocknetem Exkrement. Stünde er wenigstens ehrlich zu seinem traurigen Schicksal, wäre immerhin ein Anfang gemacht. Dann gäbe ich ihm vielleicht sogar einen Euro oder die Adresse eines zuverlässigen Abdeckers.
Das denkt der Typ natürlich nicht, dazu ist ihm das alles viel zu egal, und den Anderen auch. Ein kurzer Kontrollblick nur, ob irgendwo Blut ist, und schon wenden sich alle wieder ihren Pausengesprächen zu: Protestaktionen sollten grundsätzlich niemanden stören, der Feigensenf ist so teuer geworden, die Musiklehrerin der Kinder ist scheiße, aber Fil ist heute wieder lustig. Nur diese Gentrifizierungsnummern checkt beim besten Willen keiner. Sollte er mal lassen.
„So glaubt mir doch, edler Herr“, will ich rufen. „Ich hab echt nur ein Glas Wein getrunken“, „ich bin eigentlich ganz nett“, oder „ich bin Uli Hannemann, der sagenhafte Liebling der Massen“, doch ein lichter Moment lässt mich innehalten: Woher kommt denn jetzt immer dieser Drang, mich zu rechtfertigen, und in dieser feigen Mittelmäßigkeit aufzugehen? Früher wollte ich doch gerade nicht konform sein, und lieber aus der Reihe fallen. Bei Rot über die Ampel, freihändig auf dem Fahrrad, und auch mal ein Laugenbrötchen mit Marmelade essen – das ist Punk, he ho, was kostet die Welt!
Nun aber, müde, alt und vom jahrelangen Kampf gegen die Konventionen gebrochen, will ich offenbar nur noch gut, brav, korrekt aussehen. Ebenso, wenn ich dem Postboten um 12 Uhr mittags in Schlafklamotten öffne, und sofort durchschaubar ins Gesicht lüge, ich sei krank. Kein Schwein glaubt das, kein Schwein interessiert das. Oder neulich, als ich einer Bekannten überraschend in der Sauna begegne, und als erstes ungefragt behaupte: „Ich weiß schon, aber ich komm grad aus dem Eisbecken.“ Wer will das wissen? Es ist so erbärmlich.