Die Metaebene

Derweil ich mehr Müll in mein Körbchen schmiss, plante ich die Kolumne weiter.

Beim Betreten des kleinen Supermarkts, sprach mich eine, ähnlich einer riesigen Mensch-ärgere-dich-nicht-Figur gesichtslose und nur grob umrissene, Gestalt in einer Art Wehrmachtsanorak an, nanu, er sei doch der taz-Kollege Rudi Hupf* (*Name geändert), ob ich ihn denn nicht erkennte, und nach Abnehmen der Brille fiel bei mir der Groschen.

Ich begegne ihm ab und zu, er wohnt wohl in der Nähe, und ist also keiner der vielen Menschen, die ich nach nur einmaligem Sehen nicht wieder erkenne. In diesem Fall verwies ich entschuldigend auf meine beschlagene Brille: „Sorry, aber ich konnte dich so gar nicht sehen.“

Daraufhin sprach er diese klugen Worte: „Da kannst du doch auch mal eine Kolumne drüber schreiben“. Genauer gesagt waren es auf den ersten Blick dermaßen dumme Worte, dass ihre Dummheit nur noch von der darunter liegenden Geringschätzung übertroffen wurde, die der Knabe offenbar meinen Kolumnen gegenüber hegte. Denn etwas Boringeres als über das zufällige Ansichtigwerden eines Kollegen im lokalen Kaufladen zu berichten, ist objektiv wie subjektiv kaum denkbar.

Doch auf den zweiten Blick fand ich die Idee megaschlau, so dass ich dachte „Yessiyess! Das mach ich!“ Schließlich beschränkte sich mein aktives (Er-)Leben wie für so viele ältere Menschen im Wesentlichen auf den gelegentlichen Einkauf von Lebensmitteln, die dafür sorgten, dass ich sinnlos weiter fraß und schiss und atmete. Und dann erneut einkaufen ging. Worüber also könnte ich sonst noch groß schreiben?

Während ich schon atemlos plottete, entwickelte und ganze Stränge wieder verwarf, kreuzten sich am Kühlregal noch einmal unsere Wege. Ich griff dort zu einem Fischprodukt von Gut & Günstig und sagte, „Du kannst ja drüber schreiben, was ich hier für einen Schrott kaufe.“ Völlig unlogisch im Grunde, denn ich sollte ja die Kolumne schreiben. Und nicht er. Was daran hatte ich bitteschön nicht verstanden?

Und dann der Geistesblitz. Ich könnte eine sogenannte „Metaebene“ einflechten, wie so viele, die im Brustton eines Zweijährigen, der beim Anblick eines Hundes erkenntnisstolz „Wauwau“ sagt, behaupten, allein durch die Verwendung dieses Zauberworts etwas fürchterlich Banalem die Weihe des Nichtbanalen zu verleihen. Dabei ist die angebliche Metaebene für Normalsterbliche nur eine Ablenkung davon, dass es noch nicht mal eine Ebene gibt. Nur ganz wenige, wirklich kluge Menschen (etwa eine aus einer Million) sind ernsthaft metaebenenfähig. Beziehungsweise wären es, denn speziell die würden ihr wertvolles Hirnpulver kaum für eine derartige Lappalie verschießen. Ich wäre also der einzige.

Super. Derweil ich mehr Müll in mein Körbchen schmiss, plante ich die Kolumne weiter. Ich könnte darin behaupten, den Kollegen wider das eingeführte, und ja per se nicht unglaubhafte Narrativ, ich hätte ihn wegen der trüben Gläser nicht erkannt, absichtlich ignoriert zu haben. Aus Hass oder Gleichgültigkeit. Aus Bequemlichkeit, damit ich ihn nicht grüßen musste. Oder schlicht, um seine Seele aus der Balance zu bringen, da ich auf lange Sicht nach seinem Redakteursposten trachtete. Das klassische Gaslighting („Welcher Uli? Sie verwechseln mich hier!“) würde am Ende wirken wie kleinste Dosen Gifts, die ein Mörder dem Opfer über Jahre hinweg geduldig einflößt.

Andersherum wäre eine rein anekdotische Schilderung tatsächlich etwas dröge. Denn das Großartige am magischen Realismus eines Murakamis, der Autofiktion eines Knausgårds, den bunten Fantasiewelten eines Prechts, ist ja gerade, dass sie eine Geschichte an der Stelle beliebig fortspinnen können, wo sie beim gewöhnlichen Chronisten bereits endet, nämlich im Eingangsbereich von Edeka in der Pannierstraße.

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