Der Traumdompteur

Ich bin ein Traumsurfer par excellence.

Ich hatte einen Traum.

Gemeinsam mit zwei Typen betrat ich durch eine Glastür erst eine Art Hotelfoyer, und dann den völlig leeren Saal eines großen Kaffeehauses im K & K-Stil. Einer war der Anführer, der andere mir ungefähr gleichgeordnet. Die beiden hatten zwar definierte Gesichter, aber keine bekannten, sondern eher die austauschbarer Traumavatare, die nur vorübergehend auch vertraute Züge annahmen, wie die des Cousins meiner Frau, und dann doch wieder nicht.

In der Mitte des riesigen Raums setzten wir uns an einen Tisch. Wir wollten einen Anschlag begehen. Irgendwas mit Russen. Wie und warum, wurde nicht weiter erklärt, ich wusste es im Traum einfach, weil da ja immer alles völlig stimmig erscheint. Man hinterfragt auch nichts. Erst nach dem Aufwachen wird es im Nachhinein unlogisch und schwammig.

Ein etwas schmieriger Kleinkriminellenavatar im Kellnermontur strich um uns herum, wie um uns zu bedienen, aber wir bekamen nichts. Das machte nichts, denn wir hatten es nicht eilig. Der „Chef“-character hatte einen Sprengsatz oder so dabei, den man nicht sah. Also auch wieder so ein unbelegtes Traumwissen. Wir anderen waren wohl ebenfalls bewaffnet, obwohl ich keine Waffe erkennen konnte. Allerdings habe ich mich schon im Traum gefragt, ob ich wirklich bewaffnet war, was das für eine Waffe sein sollte, und wo am Körper ich sie versteckt hielt, oder ob ich sie nicht doch vergessen, verlegt oder absichtlich nicht mitgenommen hatte, und das nun vor den anderen verheimlichte.

Ein Traum ohne mindestens einen unbehaglichen Aspekt von schlechtem Gewissen, Verlust- oder Versagensangst ist bei mir offenbar nicht drin. In diesem Fall mischten sich vermutlich die verschleppte Steuererklärung und der drohende TÜV mit einem grotesken Restauranterlebnis, dass ich vor Jahren mal im westukrainischen Lwiw hatte, der Reparatur unseres Flurlichts durch besagten Schwiegercousin, und der Tagesschau vom Vorabend, in der es um die Verhaftung eines Verdächtigen im Fall der gesprengten North Stream II ging. Ein typischer Traum also, in seiner wilden Mischung aus Erinnerungen, Erlebtem, Unverarbeitetem, sowie verschiedensten Film- und Fernseheindrücken.

Ich weiß noch, dass ich mich im Traum über die mangelhafte Bedienung weder wunderte, noch beschwerte. Denn je länger wir nichts bekamen, so mein schlafwandlerisches Traumwissen, desto länger würde der Anschlag herausgezögert, und desto länger würden wir auch überleben.

Mir war nämlich sogar im Traum völlig schleierhaft, wie wir hier nach der Tat unerkannt und zügig aus dem leeren Saal entkommen sollten, und hier begann der besonders merkwürdige Meta-Part des Traums.

Ich wusste ja, dass mir nichts passieren konnte, weil ich das ganze träumte. Darüber hinaus habe ich mir die Fähigkeit (man lernt so etwas wohl auch in Traumatherapien) angeeignet, besonders unangenehme Träume nach meinem Gusto und zu meinen Gunsten zu wenden, oder ganz auszusteigen, sprich zu erwachen. Sobald ich diese Bewusstseinsebene erreicht weiß, springe ich manchmal sogar mutwillig in Abgründe wie so ein Bungee-Jumper, aber ohne Seil, das brauche ich ja nicht, oder führe meinen eigenen „Tod“ anderweitig absichtlich herbei. Aus reinem Vergnügen, und weil ich es kann. Ich bin ein Traumsurfer par excellence. Mit Popcorn auf dem Schoß verfolge ich amüsiert mein eigenes Kopfkino.

Auf diesem Wege bin ich sogar langjährig wiederkehrende Alptraummotive losgeworden. Es ist, als hätten die Horrorwesen aus Frust darüber, dass ihr Kunde keine Angst mehr vor ihnen hat, ihre Arbeit eingestellt. Ich stelle mir vor, sie haunten nun stattdessen Julia Klöckner oder so, das wäre schön.

Zurück zum Traum. Während ich also wusste, dass mir nichts passieren konnte, weil ich ja träumte, machte ich mir ernstlich Sorgen um die beiden anderen. Weil die träumten das ja nicht. Sie waren argloses Traumpersonal, Komparsen meiner Phantasie. Wenn die Sache schief ging, würde ich mich in Luft auflösen, darüber lachen, dass ich „erschossen“ würde, absichtlich – juchhei! – durch die Glastür springen oder – ätschibätsch! – als letzte Exit-Strategie einfach aufwachen, so wie man einen rotgefährdeten Spieler auswechselt und damit dem Gegner die Chance zur Überzahl verleidet. Meine Traumstatisten aber – das war im Traum meine feste Überzeugung – würden all diese Schäden tatsächlich erleiden. Weil sie ja echt waren – ich träumte schließlich sie, und sie träumten nicht mich. Eigentlich müsste ich sie warnen: Leute, wir müssen abhauen, ich kenn’ mich aus, das ist immer noch mein Traum hier.

Doch der Beruf ging vor. Denn, so entschied ich im Traum weiter, das waren ja alles wahnsinnig kluge und originelle Gedanken, die ich mir unbedingt notieren musste, um später im Wachzustand darüber zu schreiben. Toll, toll, toll! Aufgeregt zog ich untem Tisch also mein Notizbuch (das gleiche, das ich in Echt benutze) unter meinem Schienbeinschoner (!?) hervor, unter dem ich nun immerhin auch eine Art niedliche zusammengeklappte Maschinenpistole fand, und kritzelte das Wesentliche eilig in ein paar kurzen Stichpunkten hinein, ehe ich in meinem Bett erwachen würde, wo ich dann doch bloß wieder nichts zu schreiben hätte.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert