Das Erdbeerhäuschen

Sie sind nur Erdbeerbauerndarsteller in einer miesen Show.

„Soll ich nachher mal in so’n Erdbeerhäuschen gehen, und Erdbeeren holen?“, frage ich, denn hinten an der Brücke habe ich eins gesehen. Um diese Jahreszeit sind die albernen erdbeerfarbenen und -förmigen Plastikhütten strategisch in der ganzen Stadt verteilt, und im Umland und an den Ausfallstraßen ebenso. Dort erst recht, weil das wirkt authentischer. Die Leute sollen denken, dass da so Erdbeerbauern mit dem Trecker die Erdbeeren frisch vom Feld zum Konsumenten in die Stadt bringen, und dort noch mit ihren von redlicher Wühlarbeit in der guten Ackerkrume schmutzigen Händen direkt an uns urbane Naschkätzchen verteilen. Alles bio.

Bei der Vorstellung schmeckt es gleich doppelt gut. Die müssen dann ja auch viel besser als im Laden sein, denkt sich der Kunde. Das sind noch richtige Erdbeeren, summt es in seinem Kopf. Nostalgische Gefühle mischen sich mit falschen Kindheitserinnerungen (hat damals nicht so ein kriegsversehrter Erdbeermann die Erdbeeren aus Ostpreußen mit einem dreirädrigen Lieferwagen geradewegs in unsere Hochhaussiedlung gefahren, und dort mit einer riesigen Glocke geläutet? Von überall liefen barfüßige Gören und Muttis in Kittelschürzen zusammen. Alles hat damals viel intensiver geschmeckt. Auch der Mond hat heller geschienen). Klammer zu. Dafür nimmt er auch gerne einen höheren Preis in Kauf. So ein Kunde bin ich.

Dabei sind die Früchte, die auf den ersten Eindruck super aussahen, beim letzten Mal ziemlich schnell oll geworden. Auf jeden Fall schneller als die aus dem Supermarkt. Trotzdem will ich schon wieder zu „Karls Erdbeerhäuschen.“ Irgendwann muss es doch endlich mal klappen mit der erwarteten Geschmacksexplosion plus Haltbarkeit.

Wenn ich „Erdbeerhäuschen“ sage, findet meine Frau das immer sehr niedlich. Ich soll überhaupt möglichst niedlich sein, obwohl ich längst nur noch ein klobiger alter Freak bin. Vielleicht sogar gerade deswegen; psychologisch wäre das nachvollziehbar. „Und dann gehst du auch noch in so ein Erdbeerhäuschen“, gurrt sie. „Und guckst dann da zusammen mit dem Verkäufer raus, obwohl das viel zu klein für zwei ist. Was für eine unfassbar niedliche Vorstellung!“

Es mag zugegebenermaßen niedlich klingen, aber so ist es nicht gemeint. Ich könnte genauso gut „Erdbeerhaus“ dazu sagen, oder „Erdbeerfestung“. Denn ich meine es im Gegenteil äußerst böse, ein Resultat enttäuschter Liebe. Der Erdbeermann soll sterben. Also jetzt nicht direkt sterben, aber nach der Erdbeersaison sollte es das schon für ihn mit seinem Job hier gewesen sein. Und ich will dann auch bitte nicht, dass er im Herbst Quitten verkauft, in so einem quietschgelben Quittenhäuschen („Gott, wie niedlich!“), oder im Winter Lebkuchen.

Da wäre dann nämlich Schluss mit niedlich. Ich hab langsam echt keinen Bock mehr auf Lebkuchen, Quitten oder Erdbeeren, die schon am nächsten Tag vergammelt sind. Kein Wunder, denn im Erdbeerhäuschen arbeiten in Wahrheit nämlich gar keine Erdbeerbauern. Wir sollen das nur denken, dabei haben sie ganz saubere Fingernägel.

Sie sind nicht mit dem Herzen bei der Sache, im Grunde hassen sie Erdbeeren. Sie wissen nicht, wie man die richtig beschneidet, die tückische Erdbeerlaus bekämpft, und die Blüte vor dem Frost schützt. Sie sind nur Erdbeerbauerndarsteller in einer miesen Show, zu der auch das kitschige Erdbeerhäuschen in diesem Märchenland für Gutgläubige gehört. Die meisten von ihnen sind Freigänger, weil man sie jetzt braucht, und Personal fehlt. Ebenso gut könnten sie Lose auf dem Rummelplatz verkaufen. Egal, ich nehme wieder eine große Schale, 750 g für 7 Euro 50, danke Karl.

Das sind noch richtige Erdbeeren, summt es in seinem Kopf.

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