„Aha“, sage ich fachmännisch, als wir auf der Startbahn stehen, und ich aus dem Flugzeugfenster schaue. „Ostwind.“
Ich weiß echt nicht, warum, aber ich muss immer und überall zu jedem Thema zwanghaft meine Expertise äußern, oder möglichst gleich die ganze Welt erklären. Und natürlich habe ich es am liebsten, wenn mein Publikum während des Vortrags angeschnallt ist und nicht weglaufen kann, so wie meine Frau jetzt neben mir.
„Man startet und landet immer gegen den Wind.“ Selbstlos gebe ich eine weitere kostbare Perle aus meinem schier unendlichen Wissensschatz preis. Warum das so ist, weiß ich nicht, und es ist mir auch egal. Bin ich Aeronautiker? Bestimmt irgendeine Scheiße mit dem Auftrieb und den Flügeln. Vom Nebensitz höre ich ein Stöhnen. Der Dankbarkeit?
Um ehrlich zu sein, habe ich die Himmelsrichtungen hier noch nicht mal verifiziert, denn ich habe keine Ahnung von unserem exakten Standort innerhalb des Flughafens. Ist die Startbahn südlich des Terminals, das ich rechterhand erblicke, starten wir nach Westen. Befinden wir uns nördlich davon, also im Bereich des alten SXF, starten wir nach Osten. Dann hätte ich sogar recht gehabt, zufällig, denn ich kann von meinem Mittelplatz aus überhaupt nicht erkennen, von welcher Seite die Sonne scheint, und wo folglich Süden ist.
„Mittags steht die Sonne im Süden“, höre ich mich mit unangenehm blecherner Stimme auch dazu bräsig die Umgebung belehren. Das Stöhnen wird lauter. Dankbarkeit ist das nicht. Klingt eher ein bisschen angestrengt, so wie wenn man in Mathe was besonders schwieriges durchnimmt. Darin liegt die Tragik: Ich weiß über alles Bescheid, doch keine will es hören. Ich bin wie ein Rauchmelder in einem vor Jahren abgebrannten Hotel. Wie fremdgesteuert entströmen die Weisheiten meinem Mund. Salbader, laber, sülz, fasel, splain. Möchte noch jemand ein Erclair zum Tee? Vielleicht mit Quakfüllung?
Allzu sympathisch bin ich mir dabei selbst nicht. Ich war doch früher nicht so. Eher im Gegenteil. Alles war egal, ich wusste nichts, und wollte auch nichts wissen. Ich sagte nichts, und wollte nichts hören. Sollte doch jeder denken, was er wollte. Mich interessierte nicht mal, was ich selber dachte, aber ich dachte ja auch nichts.
Doch heute gilt für mich die Faustregel: Je weniger ich von der Welt verstehe, desto mehr sehe ich mich genötigt, sie zu erläutern, wohl um mir selbst die Angst vor dem unkontrollierbaren Chaos zu nehmen. Denn, um an dieser Stelle ausnahmsweise einmal ehrlich zu sein, weiß ich in nackten Zahlen benannt, insgesamt genau sieben Sachen, die dafür aber immerhin recht sicher. Deshalb bin ich auf häufige Wiederholungen angewiesen, und hoffe, dass es keine merkt. „Geflügel immer gut durchbraten“, sage ich zum Beispiel einmal in der Woche, „wegen der Salmonellen“, oder, „beim Eierkauf stets mit zwei Fingern über die Eierreihen scrollen, falls schadhafte Eier unten am Karton kleben.“ Alles über besagte sieben Topics hinaus ist schlicht ins Blaue hinein geraten. Entscheidend ist eh nur, dass ich mein „Wissen“ überzeugend rüberbringe. Wie in der Politik.
Wir heben ab. „Fast alle Flugzeugunglücke passieren beim Start und bei der Landung“, referiere ich im Steigflug Thema Nr. 4, und ernte einen bösen Blick. „Uiuiui“, sage ich. „Gefährlich! Ein Glück, dass Karma nur eine Erfindung von und für Knalltüten ist, die mit der Unwägbarkeit der Dinge nicht klarkommen.“
Ich lehne mich zurück. Im Süden sehe ich Waltersdorf oder so. Könnte aber auch im Westen sein. Wo fliegen wir überhaupt hin? „Zossen“, erkläre ich entschlossen. Oder Königs Wusterhausen?