Bowling for Kolumbien III

Beim Stamm der Angeber

Unsere viertägige Dschungeltour zur Ciudad Perdida führte direkt durch das Stammesgebiet der Kogi. Das sind kleine Männchen in weißen Gewändern und mit krempigen Hüten, die in einer Art Schlumpfhäuser leben, vor denen unfassbar niedliche Kinder in weißen Kleidchen spielten, wiederum bewacht von knubbeligen jungen Müttern in Weiß, die niemals ein Wort sprachen, zumindest nicht in unserer Anwesenheit.

Man hatte uns vor der Tour gesagt, wir sollten dem Stamm gegenüber freundlich und respektvoll auftreten. Doch denen hat man offensichtlich nicht dasselbe eingetrichtert. Wenn die Männlein unsere Wege kreuzten, blickten sie starr geradeaus. Sie grüßten uns nicht und erwiderten keinen Gruß. Nie lächelte oder lachte gar einer. Elitär bis zum Get-no. Es war wie eine Bestätigung der ausgeleierten Klischees vom stolzen Indigenen, die man uns ein Leben lang auf sämtlichen Kanälen ins Hirn geschissen hatte. Würdevolles Schweigen. Erbpacht der Moral. Völlige Humorlosigkeit. Verachtung des Bleichgesichts, das schwatzt wie ein Weib und den tötenden Blitz mit sich führt. Stattdessen ein direkter Draht im Kopf zu Bäumen, Göttern und Dämonen, eh klar. Ein Indianer kennt keinen Scherz.

Meine Begleiterin machte das, wie sie es nannte, „superprätentiöse Verhalten“ richtiggehend wütend. Dass Natives im 21. Jhdt. noch derart plakativ auf ihrem Ureinwohner-Ticket surften, konnte nur eine blasierte Marotte von Blendern sein, die sich qua Herkunft für was Besseres halten. Also im Grunde wie bei uns die Rechten. Sie kaufte ihnen das entrückte Gewese nicht wirklich ab. Und es ging ja auch anders: Ein paar der Kogi arbeiteten als Guides – sie sind mit dem Gelände vertraut und werden niemals müde -, die grüßten dann zuweilen mit leicht gequälter Miene zurück.

Dabei konnte die Unfreundlichkeit auch ganz banale Ursachen haben. Sicher sind einige genervt von den Gruppen, von uns also, deretwegen die Tourveranstalter dem Stamm die entsprechenden Wegerechte abgekauft haben. Für manche Waren ist es eben nötig, Handel mit der Außenwelt zu treiben und dafür wiederum benötigt man Valuta wie man im Osten dazu sagte. Die Wegerechte können sie auch jederzeit zurückziehen.

Aber bis dahin dackeln eben ekelhaft schwitzende Gringos in Trekkingsandalen  mitten durch das Stammesgebiet. O Gott, o Manitou, o verfluchter Mist, dabei treten sie doch auf Bruder Stein und Schwester Sand und beschädigen so deren unsterbliche Seelen. Daher schließen die Kogi den gesamten Nationalpark zweimal im Jahr für je einen Monat, um ihn zu reinigen. Also nicht wörtlich zu reinigen, denn das geht hier alles schon eher Richtung Ökotourismus. Das heißt, es bleibt kein Bonbonpapier liegen und wenn doch, wird es von den kolumbianischen Führern akribisch eingesammelt. Sondern von den Anhaftungen der Touristen. Und auch damit sind nicht etwa Schweiß, Tränen und alte Kaugummis gemeint, sondern ihre blanke Anwesenheit. Igitt. Da gehen dann die Schamanen quasi mit einem heiligen Mopp aus Sprüchen, Gesängen und versengten Kräutern gründlich drüber, einmal im Februar und einmal im September, sonst wird man des Drecks gar nicht mehr Herr. Auch das wirkt wieder wahnsinnig prätentiös und irgendwie ja auch ein bisschen beleidigend für die Wanderer.

Die Freundin hatte recht. Die machten echt nicht den Eindruck, als ob sie sehr witzig wären. Theoretisch kann es natürlich sein, dass sie, wenn sie sich in ihren Schlumpfhäusern unter ihresgleichen wissen, nonstop die besten Jokes reißen. Geht ein Kogi zum Arzt. Aber das glaube ich nicht. Zum Lachen gehen die doch in die ewigen Jagdgründe. Und selbst noch ihren Drogenmissbrauch verbrämen sie durch ein pseudospirituelles Tamtam, obwohl Drogen doch vor allem eines bringen sollten: Spaß oder wenigstens einen netten, kleinen Kurzurlaub im Kopf. Das ist per se eher eine legere Angelegenheit: Joint gerollt oder Pille eingeworfen und fertig ist die Laube, gar kein Ding.

Nicht aber für unsere kleinen Freunde. Wird der Mann achtzehn, erhält er in einer feierlichen Zeremonie vom Schamanen den aus Hartkürbis geschnitzten sogenannten „Poporo“, in dem sich geriebener Muschelkalk befindet. Für den Rest seines Lebens hängt ihm das Gefäß nun um den Hals. Mit einem Stab holt er sich daraus Kalk hervor, der dann mit den Kokablättern in seinem Mund reagiert. Der Poporo steht dabei für das Weibliche, der Stab für das Männliche. Schwanzfixiertheit hat so was herrlich Ursprüngliches. Auch der Kalk ist männlich und steht für das Meer, aus dem die Muschi, äh, die Muscheln kamen. Die Kokablätter (weiblich) symbolisieren die Erde, auf der sie wachsen. Und die Kogi selbst – typischer Größenwahn des Koksers – sind die Hüter der Erde, logisch. Da fragt man sich schon, ob das nicht alles eine Nummer kleiner ginge.

Das Zeug wächst bei ihnen buchstäblich im Vorgarten.

Doch die scheinbar so alberne Konstruktion besitzt unbestreitbare Vorteile. Denn allein dank dieser Show sind sie die einzigen Menschen, die in Kolumbien noch offiziell Koka anbauen dürfen – das Zeug wächst bei ihnen buchstäblich im Vorgarten. Ob Beschneidung, Diskriminierung oder Tanzverbot: Das Totschlagargument Religion funktioniert wie so oft als beliebiger Freibrief, knickknack, die Behörden sind schachmatt. Insofern macht auch die Mimikri des ernsten und schweigsamen Kriegers Sinn, denn würden sie wie gewöhnliche Kokser mit hervorquellenden Augen auf einer Party, im Club oder im Bundestag herumblöken wie geil sie sich finden – flögen sie eventuell auf und schon wäre es Essig mit dem Sonderrecht. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, macht es natürlich einen Unterschied, ob man Kokain nimmt oder geröstete Kokablätter kaut. Dafür allerdings tun sie das dann den ganzen Tag. Hatte ich bereits erwähnt, dass die Herrschaften niemals müde werden?

Doch man stelle sich vor, das machte jeder so: Hallo, hallo, hallo, ich gehöre auch einer uralten Kultur an, bin Rastafari, Klebstoffbuddhist oder vom Stamme Alk: Ich fordere nur mein Recht auf freie Religionsausübung ein. Und dazu gehört eben, dass ich den ganzen Tag Schnaps trinke und danach rituell Frau und Kinder verdresche. Mit achtzehn hat mir der Tankwart – das ist bei uns so eine Art Druide – in einem Initiationsritus („die Übergabe der 7 Euro 49“) die aus Hartglas gefertigte Flasche, die sogenannte „Pulle“ überreicht. Sie symbolisiert „Fusul“, die Dreifaltigkeit aus gesellschaftlichem Niedergang, gesundheitlichem Ruin und vorzeitigem Ableben. Die Pulle muss ich nun immer dabeihaben und alle zehn Minuten daraus trinken, sonst zürnt der Große Getränke Hoffmann. Der spirituelleste Moment ist jedoch der anschließende Torkeltanz zu unrhythmischem Grölen mit gemeinsamem Erbrechen der Gläubigen. Das alles kann ich jederzeit behaupten und als immaterielles UNESCO-Kulturerbe reklamieren.

Ich finde es ja gar nicht falsch, Drogen zu nehmen. Das freie Recht auf Rausch wurde zum Teil schon von Strafrichtern aufgeworfen und ich bin dafür, nicht nur diejenigen Drogen zu legalisieren, die allein in Deutschland jährlich an die zweihunderttausend Menschenleben fordern, sondern auch solche, die es nicht auf diese stolze Quote bringen. Denn nur, weil sie weniger Leute töten, sind es ja nicht automatisch die schlechteren Drogen. Nur ist es eben völlig unangebracht, den Konsum auf so ein Podest zu stellen. Drogen zu nehmen, ist in etwa so weihevoll wie bei Rot über die Ampel zu gehen oder ins Badewasser zu pupen. „Prätentiös“ ist noch gar kein Ausdruck für den Aufwand, den die Kogi um eine folkloristische Farce herum betreiben, die zu nichts anderem dient als die bittere Wahrheit zu euphemisieren, dass sie sich schlicht zudröhnen, weil offenbar doch nicht alles so großartig ist wie sie uns glauben machen und sie mit irgendwelchen Issues anders nicht so richtig fertig werden.

Woher ich das alles weiß? Nun, am dritten Abend war so ein Häuptling oder Medizinmann oder Pressesprecher der Kogi auf Einladung des Tourveranstalters in dem Camp, in dem wir übernachteten. Er sprach vor den versammelten Touristen, eine Führerin übersetzte ins Englische. Wir schwiegen fromm – die einen fakten Pietät, die anderen empfanden sie wirklich.

Als die Oberkoksnase mit ihrem Esosplaining durch war, durften wir noch Fragen stellen. Eine Frau wollte wissen, wie sie, die Kogi, es denn mit den Mücken hielten. Die Frage war alles andere als blöd, denn die Mücken in dem Dschungel waren schon ausgesprochen scheiße drauf. Einige schien das Antibrumm Forte noch anzuspornen – da hatten sie wenigstens mal nen Gegner.

Bevor ich zu seiner Antwort komme, hier noch ein kleines Detail am Rande: In einer der anderen Wandergruppen gab es eine unglaublich stulle wirkende Tante, eine Amerikanerin, an der aber auch jedes Körperteil falsch war. Versteht sich von selbst, dass wir in einem fort hinter ihrem Rücken über sie ätzten. Gehässigkeit ist das Brot der Welkenden, die üble Nachrede ihr Wein. Womöglich war aber auch einfach nur unser Ego angeknockt, weil sie, die mit ihren künstlichen Fingernägeln wirkte wie ein Pornostar im Dschungel-Camp, diesen entsetzlichen Gewaltmarsch durch die grüne Hölle überraschend gut durchstand, während wir, die wir uns viel fitter wähnten, unter den Strapazen fast verreckten. Bestimmt war sie in Wahrheit superschlau und außerdem kann ja wohl jede rumlaufen wie sie will.

Die grüne Hölle

Jedenfalls war sie zu dem Vortrag in der überfülten Baracke erst jetzt erschienen – vielleicht hatte sie noch die falschen Wimpern zum Trocknen aufgehängt – und die Übersetzerin, die zu ihrer Gruppe gehörte, winkte sie zu sich nach vorne, wo neben ihr und dem Indigena noch ein Plätzchen frei war.

Sie hatte kaum die Antwort zu Ende übersetzt, „wir lernen die Mücken als unsere Freunde anzunehmen“, oder ähnliches First People-Gewäsch von der Stange wie ich es sicher auch vom Stapel lassen würde, wenn ich uns an seiner Stelle gegenüber säße und wie ich es außerdem schon hunderttausendmal bei Winnetou gesehen hatte, als dieser aufgetakelte Kim Kardeshian Character direkt vor dem Kogi mit beiden Händen lautstark eine Mücke in der Luft zerpatschte.

Wir, die wir den Respekt eh nur vorgetäuscht hatten, kicherten haltlos. Die anderen schwiegen betreten. Sollten sie doch zusammen mit dem Häuptling ihren Mückenfreund beerdigen.

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