Schön finde ich, dass jetzt viele kleinere Klamottenläden elegante und originelle Mundnasenschutze im Sortiment haben: feine Stoffe, schöne Farben, kecke Motive. Manche arbeiten mit kleinen Manufakturen zusammen oder stellen sie sogar selbst her. Das finde ich gut. Ich bin ja nicht so der Einweg-Pappnasenträger; als Mann von Welt, der ich gern wäre, möchte ich schließlich auch mit Maske schick sein.
Ich betrete den Laden und sondiere den reich bestückten Maskenständer. Die Inhaberin bedient noch eine andere Kundin, aber das macht gar nichts. Ich sehe mich eh lieber erst mal in Ruhe alleine um. Zunächst prüfe ich das Material gründlich mit beiden Händen. Anschließend probiere ich einen Mundschutz nach dem anderen an, und laufe damit im Laden herum, erst im Schritt, dann im Trab. Ich mache Kniebeugen und Liegestütze, um zu testen, ob er bei körperlicher Belastung verrutscht. Das sind entscheidende Kriterien – ich habe keine Lust auf einen faulen Kompromiss, den ich nach zwei Wochen Tragezeit doch nur wieder zurückgeben muss. Im Spiegel gucke ich, ob man von außen sieht, wie sehr ich die Masken schon durchgesabbert und -geschwitzt habe. Die nur noch vier Kandidaten von etwa fünfzig, die bis dahin alle Prüfungen bestanden haben, unterziehe ich am Ende noch dem wichtigsten Test: Ich niese und huste kräftig hinein, um zu sehen, ob sie auch wirklich dicht sind.
Die Chefin hat nun Zeit für mich und wendet sich mir zu: „Ich sehe, Sie haben schon eine schöne Maske gefunden? Sieht doch fabelhaft aus.“
„Ja, sehr schöne Modelle. Absolut. Aber ich hab die jetzt schon alle anprobiert und keine sitzt so richtig perfekt“, sage ich, und mache keinen Hehl um meinen leichten Unmut. „Zu fest, zu locker, nicht dicht genug. Sehen Sie …“ Ich deute auf den Teppich. „Beim Niesen sind mir zum Teil sogar links und rechts die fetten Flatschen rausgespritzt. Das geht gar nicht. Man hat schließlich auch Verantwortung für Andere. Genau das ist ja im Grunde das Prinzip des Mundnasenschutzes: Ich für dich, du für mich, wir für uns. Für eine gesunde Gesellschaft in einer nachhaltigen, sicheren und gerechten Welt.“ Ich deklamiere aus dem berühmten Poem „Busenbrunst“ der Heimatdichterin Luise Brandstetter: „Bruder, du, ein Teil von mir. Schwester, du, ein Teil von dir. Funkenflug, ich eil, ich eil. Brandleich schwarz, ein Teil, ein Teil …“
Die Boutiquarin wirkt entgeistert.
„Schön, nicht?“ Ich kann nur flüstern, im Hals ein dicker Kloß, füllen sich meine Augen mit Tränen.
Sie zeigt auf den Haufen feuchter Masken, der sich neben dem leeren Ständer türmt. „Haben Sie die etwa alle anprobiert?“ Auch sie flüstert, offenbar schwer ergriffen. Das gefällt mir. Eine Frau der Geistes und der Kunst. Ich glaube, hier werde ich ab heute öfter einkaufen.
„Ja, alle.“ Ich nicke. „Aber leider passt keine so richtig. Die hier auch nicht.“ Ich nehme die letzte Maske ebenfalls ab. „Puh, endlich wieder Luft. Das tut gut.“ Ich schnäuze mich. „Leander Haußmann hat recht: Ist ja schon irgendwie Diktatur.“
„Würden Sie hier im Laden bitte einen Mundnasenschutz anlegen?“ Sie wirkt mühsam beherrscht. Ein bisschen wie Edvard Munchs „Schrei“, aber eben kurz davor. Holla, was ist denn hier plötzlich los?
„Aber ich habe doch keinen.“ Nun bin ich es, dem es kaum mehr gelingt, seine gerechte Empörung zu verbergen. „Natürlich nicht. Sonst wäre ich doch nicht hier. Das ist ja wohl logisch. Wie dumm Sie sind. Sorry. Echt mal.“
Enttäuscht wende ich mich zum Gehen. Geht man so mit Kunden um? Ich denke, eher nicht. Schade, jammerschade.