(… polnische Familien, deutsche Rentner und so junge Leute mit so Hütchen …)
Früher waren Flugreisen noch etwas Besonderes. Man sparte jahrelang darauf, machte beim Notar sein Testament und ließ sich im Taxi zum Flugplatz fahren, weil das dann auch schon egal war. In der Kabine rauchte man, trank Schnaps, schrie herum und alles war umsonst. Doch heute gibt es Ryanair. Gegen einen Flug mit den Knauser-Iren ist selbst die Fahrt mit dem Flix-Bus ein Ausbund an Extravaganz.
Beim Anstehen in dem kobenähnlichen Billigfliegerverschlag am Rektum Schönefelds lassen sich die prekären Passagiere in polnische Familien, deutsche Rentner und so junge Leute mit so Hütchen unterteilen. Dazu meine Angetraute Q. und ich, ihr Angegrauter, die wir einen crazy Querschnitt durch die drei genannten Gruppen bilden.
Es geht los nach Lanzarote. Aus dem Cockpit quakt ein Hater in gebrochenem Englisch so aggressiv wie unverständlich ins Bordmikrofon. Ich vermisse diese Sorte Pilot von deutschen Urlaubsfliegern, die mit beruhigender Munterkeit auch noch die aussichtsloseste Lage zu beschönigen weiß, und damit jener charismatischen Spezies qua Geburt braungebrannter Ärzte ähnelt, die mit ihrer Lockerheit mühelos ihre Verachtung gegenüber den Kassenpatienten überspielen können.
Denn das sind wir – die Kassenpatienten unter den Flugreisenden. Allein mit den niedrigen Ticketpreisen lässt sich der Betrieb des legendär unsympathischen Chefs Michael O’Greedy nicht refinanzieren. Deshalb muss man bei Ryanair sogar für die Kotztüten extra bezahlen. Glücklich, wer da wenigstens ein Hütchen hat. Ein nonstop turbulenter Trip wäre ein Volltreffer für die Fluggesellschaft, doch ehe sich der unternehmerische Wunsch erfüllt, setzt – schwupps! – der Flieger auch schon auf im Rentnerurlaubsparadies. Die Rentner und die Polen klatschen, die jungen Leute setzen ihre Hütchen wieder auf, wir holen unseren Mietwagen.
Ein kleiner Flughafen, eine kleine Stadt, eine kleine Insel: Und dennoch schaffen sie es, ihr Zeug derart dämlich auszuschildern, dass wir rat- und orientierungslos so oft durch den ersten Kreisverkehr fahren, bis der Urlaub fast schon wieder vorbei ist, als wir den Teufelskreis endlich aufs Geratewohl verlassen.
An der Bude, die wir im Internet gebucht haben, wartet geduldig der Besitzer. Gonzalo spricht nur Spanisch, aber kein Problem: Irgendwie verstehen wir ihn trotzdem. Spanisch ist ja praktisch Französisch minus das aufgeblasene Getue – das eine ist Weltsprache, das andere wäre es gerne – und Französisch haben wir in der Schule gelernt wie die meisten Wessis unseres Alters. Zuerst lernte man Englisch, damit man sich mit Menschen aus aller Herren Länder (außer Franzosen) verständigen konnte. Anschließend lernte man Französisch, heute weiß keiner mehr warum. Wahrscheinlich irgendwas mit Völkerfreundschaft. Druschba. Dostojewskischatelnosti. Was für die Schüler im Osten Russisch war, war für uns Französisch. Eine vom Prinzip des praktischen Nutzens völlig unberührte politische Entscheidung.
Gonzalo erklärt uns, wie man draußen den Whirlpool bedient. Er zeigt uns in der Küche Topf und Gabel. Im Bad schließlich den Eimer, in den man unbedingt die Kackpapierchen werfen muss. „Buen provecho“, sagt er schließlich,„schönen Urlaub.“ Dann empfiehlt er sich und lässt uns mit Gabel, Topf und Kackpapiercheneimer allein.
Das Wetter ist erst mal reichlich bescheiden. Da erweist es sich fast als Glück im Unglück, dass wir so lange trockenen Fußes um den Kreisverkehr gefahren sind. Das Wasser im Whirlpool ist auch zu kalt. Abends schnattern wir uns ins Bett. Morgens schnattern wir dick verpackt auf der Terrasse. Q. sagt, dass wir nicht schon vor dem Frühstück anfangen dürfen, Alkohol zu trinken. Mehr sprechen wir nicht miteinander. Das tränenerstickte Gemurmel könnte in dem Sturm ohnehin keiner verstehen. Denn sobald der Regen aufhört, verstärkt sich der Wind. Wegen des Windes sind wir ständig voller Sand. Die Haare, die Klamotten und sämtliche Körperöffnungen. Da merkt man erst wie viele Löcher, Lücken und vorperforierte Sollbruchkanten so ein Mensch haben kann, selbst an Stellen, die man bis dahin für komplett undurchlässig gehalten hätte. Feinster Sand krümelt sogar aus den Poren. Als der Kackpapiercheneimer voll ist, fliegen wir wieder heim. Das Auto lassen wir sicherheitshalber am Kreisverkehr stehen und gehen die letzten fünfzig Meter zu Fuß. Endlich brennt nun auch die Sonne vom Himmel.
Nachtrag. Zuhause rieselt weiter beständig Sand aus mir heraus. Vor allem, wenn ich mich auf den Kopf stelle, rinnt mir eine halbe Wüste aus dem Kragen. Immerhin hat sich mein Zeitgefühl stark verbessert. Nach exakt zehn Minuten stelle ich mich auf die Füße zurück. Der Schwerpunkt des Rieselns verlagert sich wieder auf die Hosenbeine.