Erst mal ein Spoiler ganz zu Beginn, wo ein anständiger Spoiler ja auch hingehört: Die Serie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ (Amazon Prime) hört genauso auf wie „Ostwind“. Jedenfalls stelle ich mir den so vor. Das wäre dann vielleicht auch der bessere Titel gewesen. Denn echte Kinder kommen hier nicht vor.
Wir Erwachsenen vom Bahnhof Zoo. Eltern haften für ihre Kinder. Eltern haften für die Rollen ihrer Kinder. Eltern spielen ihre Kinder. Christiane F. sitzt mit Mama und Papa am Mittagstisch ihrer Wohnung in Gropiusstadt und spielt mit ihnen Vater, Mutter, Kind. Wer was ist, steht zum Glück auf den Serviettenringen, sonst wüsste man es nicht.
Aber gut, auch auf der Straße, auf dem Strich, auf dem Straßenstrich und in der Strichstraße, da, wo einem keine Serviettenringe helfen, kriegt man relativ bald raus, wer die Erwachsen sein sollen und wer die Kinder. Die Kinder werden angeschrien, die Erwachsenen schreien an. Auch in der Schule sehen alle so aus, als wären sie schon zwanzig mal durchgefallen. Das Heroin killt irgendwie den Lerneifer. Die Lehrerin guckt böse. Aha, wer böse guckt, ist also die Lehrerin.
Die Kinder nehmen Drogen. Warum saufen sie nicht, wie alle Erwachsenen? Wahrscheinlich, damit man sie besser von ihnen unterschieden kann. Rauchen ist übrigens der erste Schritt zum Heroin. Da fehlt dann nicht mehr viel, nach dem Weltbild dieser Nichtraucher mit Fahrradhelm – man spürt richtiggehend den befremdeten Lustgrusel der Macher durch: Alle rauchen ständig überall, daran erkennt man immerhin die 70er Jahre.
Nur irgendwas ist falsch. In einem fort lächeln die Darsteller und umarmen sich zur Begrüßung. Damals, Ende der 1970er hat man sich nicht umarmt, das wüsste ich aber, eher hätte man sich die Arme abgehackt. Und wer gelächelt hat, war nicht ganz richtig im Kopf. Lächeln war für Spinner, Anfassen war beim Arzt. Aber, ach, okay?, ist ja gar nicht damals, sondern ein bisschen 80er hier und 90er dort, also ein anderes Damals, gemischt auch noch mit ein bisschen Heute. Oder doch damals? Die Autos sind zum Beispiel von damals. Oldtimer vielleicht. Also heute, wo man mit Autos von damals als Oldtimern von heute rumfährt. Die Klamotten sind von irgendwann, die Musik ist querbeet, die Regie von vorgestern.
Das kann man theoretisch alles machen. „Game of Thrones“, „Bridgerton“ oder „Die Schlümpfe“ sind historisch ja jetzt auch nicht superstringent und funktionieren trotzdem auf ihre charmant semidilettantische Art. In der Zookinderserie wirkt das Zeitenwirrwarr jedoch nicht wie ein Stilmittel, sondern eher so, als hätten sich die Verantwortlichen gesagt, „och nö, die Requisiten, den Ort krieg ich jetzt nicht so hin“ oder „ich weiß nicht wie das war und es interessiert mich auch nicht die Bohne“ oder einfach „keinen Bock, sollen sich die Leute doch selber irgendwas zusammenreimen“ in Kombination mit: „Die Kritik hält das bestimmt für Kunst.“ Dasselbe gilt für den wiederholt wie jähe Durchfallattacken hervorsprudelnden magischen Realismus. Räusche, Träume, Entzugserscheinungen. Oder sollte das jetzt wieder Handlung sein? Das kann man schlecht unterscheiden, ist ja alles so schön bunt hier …
Es ist wie ein sieben Stunden langer Werbespot der Sorte, bei dem man einander im Kino anstößt und belustigt fragt, für was das denn jetzt eigentlich Reklame sein soll: für Heroin, Vintage-Klamotten, Serviettenringe oder für die BVG? Slogan: „Nach der Schule direkt auf die schiefe Bahn. Und 1018 € kassieren.“ Das wäre in DM umgerechnet etwa siebzig mal „französisch“.
Zuhause meckern die Erziehungsberechtigten immer wegen des Heroins herum. Die Idis schnallen einfach nicht, dass die Kinder das brauchen. Deshalb hängen die jungen Junkies ständig bei so einem Pädo rum, der eigentlich ganz nett ist, bis auf seine leidige Missbrauchsmacke. Er ist der einzige Erwachsene, der die Kinder versteht, also diejenigen Erwachsenen, die die Kinder spielen. Er will nur ihr bestes, und versorgt sie deshalb auch mit Heroin.
Das Heroin ist eine feine Sache, absolut. Unter seinem Einfluss wirken die Blagen gleich viel ausgeglichener. Deshalb weiß man gar nicht, warum sie zwischendurch ständig diese Scheißentzüge machen. Mit dem Heroin war schließlich alles super, während ihnen von den Entzügen immer total schlecht wird. Sobald der Entzug beendet ist, gehen sie wieder tanzen und anschaffen und lachen und spritzen und ficken und anschaffen und tanzen und zum Pädo chillen, und nichts davon interessiert, es ist leider vollkommen egal.
Dann stirbt Dings (Drogen) und dann Bums (ebenfalls Drogen), und es ist erneut so wurscht, wie wenn bei einer Wildwestschießerei eine Handvoll Komparsen umkippen, das löst so gar nichts in mir aus, da könnte auch in China ein Sack Reis an einer Überdosis sterben. Wenn die Drogenopfer ihre Serviettenringe immer mit dabei gehabt hätten, hätte man sich wenigstens ihre Namen merken können.
Auch den anderen „Kindern“ scheint es relativ egal zu sein – die Leute sterben eben, frei nach Thea Dorn. Heroin, Krieg, Corona, Altersschwäche, was soll‘s, ist doch schnuppe, das letzte Hemd hat keine Reißleine. Hier mal ein Tränchen, huch, die Friedhofstür geht irgendwie nicht auf, oder doch, simsalabim, hat bloß geklemmt, und dann schon wieder lecker Heroin, Musik und Blut: Willkommen erneut im Circus Realismus Magicus!
Babsi stirbt. Blöd, weil das war so ziemlich der einzige Name, den wir uns auch ohne Serviettenring merken konnten. Doch ebenfalls egal. Die war eh nicht nett, so wie es überhaupt keine sympathische Figur gibt, oder wenigstens eine, der man irgendetwas abnimmt. Vielleicht ja ganz gut, dass alle sterben. Dann können wir endlich weiter „In Therapie“ gucken.
Und die ganze Zeit über denkt man sich, das könnten die jungen Leute jetzt alles gar nicht machen. Wegen Corona. Das wird erst enden, wenn Armin Laschet Bundeskanzler ist. Dann wird alles wieder erlaubt sein. Heroinpartys drinnen mit ganz vielen Haushalten. Spritzentausch wie in den Siebzigern, Umarmen wie im einundzwanzigsten Jahrhundert. Und vor allem Sterben, ganz viel Sterben, so wie früher, ohne großes Tamtam.