Die Krönung seines Schaffens

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Bob Dylan stand in dem Schuppen, in dem er immer seinen Schrott zusammenschweißte, und schweißte seinen Schrott zusammen. Die Arbeit machte Spaß, er pfiff eine kleine Melodie. Im Grunde reichte ihm das völlig an Musik. Wenn es nach ihm gegangen wäre, würde er überhaupt keine Musik mehr machen, keine neuen Songs, keine Konzerte geben, nichts. Das brachte ja doch nur Ärger: Ständig riefen irgendwelche Leute an und wollten irgendwas von ihm. Viel lieber würde er bloß noch schweißen, hier in diesem Schuppen, Funken und Stahl und er allein mit sich und seinem Schweißgerät.

Bob Dylan schob die Schutzmaske hoch und betrachtete das Zwischenergebnis seiner neuesten Arbeit. Es sah ganz interessant aus: Er hatte ein paar Zinnsoldaten an eine alte Salatschüssel aus Gußeisen geschweißt, das ganze noch in eine Radfelge hinein und die wiederum auf den Literaturnobelpreis, einen in einem Horst aus Schreibfedern thronenden Adler aus Silber, der ein Buch zwischen den ausgebreiteten Schwingen hielt, und so tat, also ob er darin läse. Das geschmacklose Stück war erst gestern Nachmittag mit United Parcel gekommen und Bob Dylan war es gerade noch gelungen, den Boten abzufangen. Er musste ihm mit heruntergelassener Hose und einem zwischen die Backen geklemmten drei Meter langen Klopapierstreifen hinterherhetzen, damit das Paket nicht wieder beim Späti an der Ecke landete. Denn dort wäre es wohl wie so viele Sendungen für die Nachbarschaft unwiederbringlich verschwunden. Er wollte den Preis zwar nicht haben, aber als Material für sein Kunstwerk konnte er ihn immerhin verwenden.

Die Leute hielten ja eh immer alles für einen Teil seiner Kunst, da konnte er machen was er wollte. Sie waren offenkundig völlig durchgeknallt. „Man kann diese Reaktion mit gutem Recht unhöflich finden. Dylans Absage an die Akademie ist jedoch kein Affront. Sie ist die Krönung seines künstlerischen Schaffens“, soll zum Beispiel eine große deutsche Zeitung sein Nichterscheinen bei der Verleihung kommentiert haben.

Das war wieder so eine absolut typische Reaktion auf sein ganz normales, menschliches Verhalten. So genervt er auch war, musste der Barde dennoch stillvergnügt schmunzeln. Ohnehin schmunzelte er seit dem Tag der Preisverkündung für seine Verhältnisse ungewöhnlich oft vor sich hin. Es war schon irre. Er konnte sich so ignorant verhalten wie er wollte, sich wochenlang nicht melden, demonstratives Desinteresse zeigen, behaupten, er hätte „wichtigeres zu tun als in Dingenskirchen aufzuschlagen“ – einen Mau-Mau Abend mit seinen Hausangestellten, den Müll runterbringen -, ach was, er hätte auch einfach nur laut furzen können: Stets jubelten verlässlich irgendwelche intellektuellen Knalltüten aus dem Nobelpreiskomitee oder in den Medien, was für ein außerirdisches Genie hier eine neue Ausdrucksform gefunden hätte. Den abgespacten Späthippies fiel anscheinend nichts besseres ein als all seine, in ihrer Unverschämtheit eigentlich doch glasklaren, Ansagen in weitere Beweise seiner Größe umzudeuten, gerade so, als wäre sein ganzes Leben nichts anderes als eine einzige Performance im Dienst an einer kosmischen Kunst.

Dabei hatte er doch einfach bloß keinen Bock auf diesen Preis, den er nicht bestellt hatte, und fertig. Nicht auf die Zeremonie im Dezember, nicht auf eine Dankesrede im kommenden März und schon mal gar nicht auf den endlosen Flug mit dreimal Umsteigen und dem letzten Teil der Reise wahrscheinlich dann per Postbus oder Rentierschlitten in irgendein verschneites Kaff im hintersten Wurmfortsatz Europas, dessen Namen er schon Sekunden nach dem ersten Hören wieder vergessen hatte: Stuckem, Shockem, Stalker, was auch immer und falls das überhaupt noch in Europa war.

Aber bestimmt würden sie die nun folgende Botschaft verstehen, obwohl, aber auch gerade weil sie ausnahmsweise tatsächlich mal mit Kunst zu tun hatte. Er klappte die Maske wieder herunter, schmolz dem Adler mit dem Schweißgerät je einen ausgestreckten Mittelfinger in beide Flügel und lötete ein paar Nazi-Devotionalien und Blechdiddelmäuse dran. Anschließend startete er den zur Dampfwalze umgebauten Sitzrasenmäher und fuhr dreimal über den Schrottberg drüber. In die entstandene flache Vertiefung zwischen Salatschüssel und Felge schiss er am Ende noch einen großen Haufen.

Zufrieden musterte Bob Dylan das Resultat seiner Bemühungen. Er wickelte es bruch- und geruchsfest in Luftpolsterfolie ein, verstaute es in einem Packset Größe L und adressierte das Ganze an: „The Nobel Committee for Literature, Stalker, Sweden, Europe (?).“ Sollte ein solcher Wink mit dem Zaunpfahl immer noch nicht reichen, wäre diesen Leuten sowieso nicht mehr zu helfen.