Bowling for Kolumbien IV

El Fisch

Am Strand von Palomino liegt einer dieser welsartigen Fische, die hier gern auf den Tisch kommen. Bestimmt zwanzig Meter von der Wasserlinie entfernt liegt er einfach da im Sand und schnappt mühsam nach Luft. Er lebt also noch. Fragt sich nur, wie lange noch. Auch seine Rückenflosse ist verletzt. Es muss schnell gehen. Zu dritt beratschlagen wir, meine beiden Reisebegleiterinnen und ich, und treffen eine Entscheidung. Sie sind das Hirn dieses Beschlusses, ich bin die Hand.

Am Strand von Palomino.

Die Frauen streiten das ja mittlerweile alles ab. Aber es kann gar nicht anders gewesen sein. Frauen haben ja oft so konstruktive und lebensbejahende Einfälle. (Zu einer bunten Sammlung weiterer Geschlechterstereotypen aus dem Mustopf bitte hier, hier, hier und hier entlang >) Der Mann will immer jagen, töten und fressen (wenn er nicht grad ficken oder sich mit seinen Kameraden im Dreck balgen möchte). Wenn ich allein daran denke, wie viele von diesen Fischen ich in diesem Urlaub schon verputzt habe, gebraten, gedünstet, frittiert und mit kreolischer Soße. Jamjam.

Dazu fallen mir auch die ganzen kleinen Schweinchen ein, die hier überall herumlaufen, und die ich in Massen fotografiert, gestreichelt und mit spitzen Gottele-nein-wie-putzig-Schreien bedacht habe. Wenn das meine Dreckbalgkameraden hören, bin ich als Mann für sie verbrannt. Vor allem aber ist mein Verhalten völlig bigott eingedenk der zahllosen Schweine, die ich mir zuhause im Akkord reinpfeife; Schweine, die so unglücklich sind, dass man zur Zubereitung kein Salz mehr braucht, so vollgesogen mit ihren Tränen ist das Fleisch.

Gottele, nein wie putzig.

Und jetzt plötzlich will ich diesen einen Fisch retten, weil ich zu ihm so eine Art persönliches Verhältnis aufgebaut habe, und weil, dessen bin ich mir nach wie vor sicher, die Frauen mich dazu angestachelt haben. Ich bin ein romantischer Retter. Bestimmt bekomme ich zur Belohnung für meine Heldentat ein Küsschen. Ohnehin verrichte ich seit jeher, was mir aufgetragen wird – mein schwaches Rückgrat wird durch stützende Fremdvorschläge so gerade noch zusammengehalten.

Ein bisschen bin ich wie die Unterstützer des Hundes Chico, der in Hannover seine Herrchen aufgefressen hat. Nun soll Chico leben. Dafür gibt es Demonstrationen und hunderttausende Unterschriften. Für einen verhaltensgestörten Mörder in einer menschlichen Todeszelle würden die noblen Aktivisten keinen Finger rühren. Da warten ja auch nur Ausländer auf den Tod und kein deutscher Hund. Der ist das Symbol ihrer „Tierliebe“, so wie bei mir nun eben dieser Fisch. Ich bin genauso ein Arschloch. Aber egal, ich nehme jetzt den Fisch und bringe ihn zurück ins Wasser. Außerdem haben die Frauen das gesagt. Ich hab das schriftlich. Hier, hier steht es doch.

Platsch.

Kurz befürchte ich, dass die starke Brandung das geschwächte Tier zurück an den Strand spült, aber irgendwie kämpft es sich durch. Geschafft. Als ich zu meinen mutmaßlichen Auftraggeberinnen zurückwill, ist mir ein Mann im Weg. Bislang ist der mir gar nicht aufgefallen. Kein Wunder, steht er doch einfach nur reglos da und hält eine gepannte Neylonschnur ins Meer.

Veinte mil“, sagt der Mann zu mir, „zwanzigtausend.“ Sonst nichts. Deshalb verstehe ich ihn auch. O ja, ich verstehe ihn sehr gut. So gut verstehe ich ihn, dass ich mich sogleich zurück ans Wasser begebe und, hüfttief in der Brandung stehend, mit beiden Händen die Karibik nach dem Fisch durchwühle. Das ist weder von der Idee her konsequent noch zielführend. Um es kurz zu machen: Ich werde des Fisches nicht mehr habhaft.

Mit leeren Händen kehre ich in der Absicht zurück, hart zu verhandeln. Für zwanzigtausend kolumbianische Pesos kriegt man schließlich schon das fertige Gericht mit allem Drum und Dran. Allerdings feilsche ich nicht lange. Denn der auf einmal doch recht gesprächige Mann erzählt, wenn ich das recht verstehe, von einer Art Bringschuld an eine gewisse „Doña“, die einen Fisch von ihm erwarte. Also habe er einen gefangen. Nun sei da aber leider kein Fisch mehr. Und eine Doña ist heiklerweise nicht nur irgendeine Frau, sondern eine Dame, eine Herrin, das weibliche Gegenstück zum „Padron“, womöglich seine persönliche Chefin, eventuell auch die Besitzerin eines von ihm zu beliefernden Restaurants, eine ernste Sache jedenfalls, das verstehe ich völlig; wer sonst, wenn nicht ich. Immerhin habe ich ja seinen Fisch ins Meer geschmissen. Ich gebe ihm sein Geld. Zum Glück hab ich’s klein – das ist hier ja auch immer so’n Problem.

Die Weiber lachen. Auf einmal behaupten sie, das sei alles völlig klar gewesen: Wie denn der Fisch da sonst hätte hinkommen sollen, ohne Beine, und es sei komplett meine eigene Entscheidung gewesen, die ich auch noch gegen ihren ausdrücklichen Rat getroffen hätte.

Im Nachhinein bin ich mir sicher, dass das Ganze eine Masche ist. Der Typ pfeffert seinen Fang jedes Mal lebend in den Sand, anstatt ihn in einem Wassereimer frisch zu halten. Damit man ihm den Fisch nicht zuordnen kann. Zusätzlich stellt er sich extra weit weg und beobachtet aus dem Augenwinkel, wann wieder so ein argloser Tourist vorbeikommt. Wenn er Glück hat, kann er mit einem einzigen Fisch am Tag mehrere Idioten fangen – vom Verkauf der Tiere allein kann keiner leben. Er hat ihm eigens eine Verletzung an der Rückenflosse zugefügt. Mit der verminderten Steuerfähigkeit schafft er es nie weit weg und beißt immer wieder an.

Sie sind ein eingespieltes Team, auch wenn nicht beide mit demselben Elan bei der Sache sein dürften: Sobald sie jemanden wie mich von weitem näherkommen sehen, denkt der Mann „si, si, por favor!“ und der Fisch „no, no, por favor no!!“ Rein, raus, rein raus – das ist ein irrer Stress für ihn, schon rein nervlich, bloß damit er am Ende doch gefressen wird.

Bowling for Kolumbien III

Beim Stamm der Angeber

Unsere viertägige Dschungeltour zur Ciudad Perdida führte direkt durch das Stammesgebiet der Kogi. Das sind kleine Männchen in weißen Gewändern und mit krempigen Hüten, die in einer Art Schlumpfhäuser leben, vor denen unfassbar niedliche Kinder in weißen Kleidchen spielten, wiederum bewacht von knubbeligen jungen Müttern in Weiß, die niemals ein Wort sprachen, zumindest nicht in unserer Anwesenheit.

Man hatte uns vor der Tour gesagt, wir sollten dem Stamm gegenüber freundlich und respektvoll auftreten. Doch denen hat man offensichtlich nicht dasselbe eingetrichtert. Wenn die Männlein unsere Wege kreuzten, blickten sie starr geradeaus. Sie grüßten uns nicht und erwiderten keinen Gruß. Nie lächelte oder lachte gar einer. Elitär bis zum Get-no. Es war wie eine Bestätigung der ausgeleierten Klischees vom stolzen Indigenen, die man uns ein Leben lang auf sämtlichen Kanälen ins Hirn geschissen hatte. Würdevolles Schweigen. Erbpacht der Moral. Völlige Humorlosigkeit. Verachtung des Bleichgesichts, das schwatzt wie ein Weib und den tötenden Blitz mit sich führt. Stattdessen ein direkter Draht im Kopf zu Bäumen, Göttern und Dämonen, eh klar. Ein Indianer kennt keinen Scherz.

Meine Begleiterin machte das, wie sie es nannte, „superprätentiöse Verhalten“ richtiggehend wütend. Dass Natives im 21. Jhdt. noch derart plakativ auf ihrem Ureinwohner-Ticket surften, konnte nur eine blasierte Marotte von Blendern sein, die sich qua Herkunft für was Besseres halten. Also im Grunde wie bei uns die Rechten. Sie kaufte ihnen das entrückte Gewese nicht wirklich ab. Und es ging ja auch anders: Ein paar der Kogi arbeiteten als Guides – sie sind mit dem Gelände vertraut und werden niemals müde -, die grüßten dann zuweilen mit leicht gequälter Miene zurück.

Dabei konnte die Unfreundlichkeit auch ganz banale Ursachen haben. Sicher sind einige genervt von den Gruppen, von uns also, deretwegen die Tourveranstalter dem Stamm die entsprechenden Wegerechte abgekauft haben. Für manche Waren ist es eben nötig, Handel mit der Außenwelt zu treiben und dafür wiederum benötigt man Valuta wie man im Osten dazu sagte. Die Wegerechte können sie auch jederzeit zurückziehen.

Aber bis dahin dackeln eben ekelhaft schwitzende Gringos in Trekkingsandalen  mitten durch das Stammesgebiet. O Gott, o Manitou, o verfluchter Mist, dabei treten sie doch auf Bruder Stein und Schwester Sand und beschädigen so deren unsterbliche Seelen. Daher schließen die Kogi den gesamten Nationalpark zweimal im Jahr für je einen Monat, um ihn zu reinigen. Also nicht wörtlich zu reinigen, denn das geht hier alles schon eher Richtung Ökotourismus. Das heißt, es bleibt kein Bonbonpapier liegen und wenn doch, wird es von den kolumbianischen Führern akribisch eingesammelt. Sondern von den Anhaftungen der Touristen. Und auch damit sind nicht etwa Schweiß, Tränen und alte Kaugummis gemeint, sondern ihre blanke Anwesenheit. Igitt. Da gehen dann die Schamanen quasi mit einem heiligen Mopp aus Sprüchen, Gesängen und versengten Kräutern gründlich drüber, einmal im Februar und einmal im September, sonst wird man des Drecks gar nicht mehr Herr. Auch das wirkt wieder wahnsinnig prätentiös und irgendwie ja auch ein bisschen beleidigend für die Wanderer.

Die Freundin hatte recht. Die machten echt nicht den Eindruck, als ob sie sehr witzig wären. Theoretisch kann es natürlich sein, dass sie, wenn sie sich in ihren Schlumpfhäusern unter ihresgleichen wissen, nonstop die besten Jokes reißen. Geht ein Kogi zum Arzt. Aber das glaube ich nicht. Zum Lachen gehen die doch in die ewigen Jagdgründe. Und selbst noch ihren Drogenmissbrauch verbrämen sie durch ein pseudospirituelles Tamtam, obwohl Drogen doch vor allem eines bringen sollten: Spaß oder wenigstens einen netten, kleinen Kurzurlaub im Kopf. Das ist per se eher eine legere Angelegenheit: Joint gerollt oder Pille eingeworfen und fertig ist die Laube, gar kein Ding.

Nicht aber für unsere kleinen Freunde. Wird der Mann achtzehn, erhält er in einer feierlichen Zeremonie vom Schamanen den aus Hartkürbis geschnitzten sogenannten „Poporo“, in dem sich geriebener Muschelkalk befindet. Für den Rest seines Lebens hängt ihm das Gefäß nun um den Hals. Mit einem Stab holt er sich daraus Kalk hervor, der dann mit den Kokablättern in seinem Mund reagiert. Der Poporo steht dabei für das Weibliche, der Stab für das Männliche. Schwanzfixiertheit hat so was herrlich Ursprüngliches. Auch der Kalk ist männlich und steht für das Meer, aus dem die Muschi, äh, die Muscheln kamen. Die Kokablätter (weiblich) symbolisieren die Erde, auf der sie wachsen. Und die Kogi selbst – typischer Größenwahn des Koksers – sind die Hüter der Erde, logisch. Da fragt man sich schon, ob das nicht alles eine Nummer kleiner ginge.

Das Zeug wächst bei ihnen buchstäblich im Vorgarten.

Doch die scheinbar so alberne Konstruktion besitzt unbestreitbare Vorteile. Denn allein dank dieser Show sind sie die einzigen Menschen, die in Kolumbien noch offiziell Koka anbauen dürfen – das Zeug wächst bei ihnen buchstäblich im Vorgarten. Ob Beschneidung, Diskriminierung oder Tanzverbot: Das Totschlagargument Religion funktioniert wie so oft als beliebiger Freibrief, knickknack, die Behörden sind schachmatt. Insofern macht auch die Mimikri des ernsten und schweigsamen Kriegers Sinn, denn würden sie wie gewöhnliche Kokser mit hervorquellenden Augen auf einer Party, im Club oder im Bundestag herumblöken wie geil sie sich finden – flögen sie eventuell auf und schon wäre es Essig mit dem Sonderrecht. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, macht es natürlich einen Unterschied, ob man Kokain nimmt oder geröstete Kokablätter kaut. Dafür allerdings tun sie das dann den ganzen Tag. Hatte ich bereits erwähnt, dass die Herrschaften niemals müde werden?

Doch man stelle sich vor, das machte jeder so: Hallo, hallo, hallo, ich gehöre auch einer uralten Kultur an, bin Rastafari, Klebstoffbuddhist oder vom Stamme Alk: Ich fordere nur mein Recht auf freie Religionsausübung ein. Und dazu gehört eben, dass ich den ganzen Tag Schnaps trinke und danach rituell Frau und Kinder verdresche. Mit achtzehn hat mir der Tankwart – das ist bei uns so eine Art Druide – in einem Initiationsritus („die Übergabe der 7 Euro 49“) die aus Hartglas gefertigte Flasche, die sogenannte „Pulle“ überreicht. Sie symbolisiert „Fusul“, die Dreifaltigkeit aus gesellschaftlichem Niedergang, gesundheitlichem Ruin und vorzeitigem Ableben. Die Pulle muss ich nun immer dabeihaben und alle zehn Minuten daraus trinken, sonst zürnt der Große Getränke Hoffmann. Der spirituelleste Moment ist jedoch der anschließende Torkeltanz zu unrhythmischem Grölen mit gemeinsamem Erbrechen der Gläubigen. Das alles kann ich jederzeit behaupten und als immaterielles UNESCO-Kulturerbe reklamieren.

Ich finde es ja gar nicht falsch, Drogen zu nehmen. Das freie Recht auf Rausch wurde zum Teil schon von Strafrichtern aufgeworfen und ich bin dafür, nicht nur diejenigen Drogen zu legalisieren, die allein in Deutschland jährlich an die zweihunderttausend Menschenleben fordern, sondern auch solche, die es nicht auf diese stolze Quote bringen. Denn nur, weil sie weniger Leute töten, sind es ja nicht automatisch die schlechteren Drogen. Nur ist es eben völlig unangebracht, den Konsum auf so ein Podest zu stellen. Drogen zu nehmen, ist in etwa so weihevoll wie bei Rot über die Ampel zu gehen oder ins Badewasser zu pupen. „Prätentiös“ ist noch gar kein Ausdruck für den Aufwand, den die Kogi um eine folkloristische Farce herum betreiben, die zu nichts anderem dient als die bittere Wahrheit zu euphemisieren, dass sie sich schlicht zudröhnen, weil offenbar doch nicht alles so großartig ist wie sie uns glauben machen und sie mit irgendwelchen Issues anders nicht so richtig fertig werden.

Woher ich das alles weiß? Nun, am dritten Abend war so ein Häuptling oder Medizinmann oder Pressesprecher der Kogi auf Einladung des Tourveranstalters in dem Camp, in dem wir übernachteten. Er sprach vor den versammelten Touristen, eine Führerin übersetzte ins Englische. Wir schwiegen fromm – die einen fakten Pietät, die anderen empfanden sie wirklich.

Als die Oberkoksnase mit ihrem Esosplaining durch war, durften wir noch Fragen stellen. Eine Frau wollte wissen, wie sie, die Kogi, es denn mit den Mücken hielten. Die Frage war alles andere als blöd, denn die Mücken in dem Dschungel waren schon ausgesprochen scheiße drauf. Einige schien das Antibrumm Forte noch anzuspornen – da hatten sie wenigstens mal nen Gegner.

Bevor ich zu seiner Antwort komme, hier noch ein kleines Detail am Rande: In einer der anderen Wandergruppen gab es eine unglaublich stulle wirkende Tante, eine Amerikanerin, an der aber auch jedes Körperteil falsch war. Versteht sich von selbst, dass wir in einem fort hinter ihrem Rücken über sie ätzten. Gehässigkeit ist das Brot der Welkenden, die üble Nachrede ihr Wein. Womöglich war aber auch einfach nur unser Ego angeknockt, weil sie, die mit ihren künstlichen Fingernägeln wirkte wie ein Pornostar im Dschungel-Camp, diesen entsetzlichen Gewaltmarsch durch die grüne Hölle überraschend gut durchstand, während wir, die wir uns viel fitter wähnten, unter den Strapazen fast verreckten. Bestimmt war sie in Wahrheit superschlau und außerdem kann ja wohl jede rumlaufen wie sie will.

Die grüne Hölle

Jedenfalls war sie zu dem Vortrag in der überfülten Baracke erst jetzt erschienen – vielleicht hatte sie noch die falschen Wimpern zum Trocknen aufgehängt – und die Übersetzerin, die zu ihrer Gruppe gehörte, winkte sie zu sich nach vorne, wo neben ihr und dem Indigena noch ein Plätzchen frei war.

Sie hatte kaum die Antwort zu Ende übersetzt, „wir lernen die Mücken als unsere Freunde anzunehmen“, oder ähnliches First People-Gewäsch von der Stange wie ich es sicher auch vom Stapel lassen würde, wenn ich uns an seiner Stelle gegenüber säße und wie ich es außerdem schon hunderttausendmal bei Winnetou gesehen hatte, als dieser aufgetakelte Kim Kardeshian Character direkt vor dem Kogi mit beiden Händen lautstark eine Mücke in der Luft zerpatschte.

Wir, die wir den Respekt eh nur vorgetäuscht hatten, kicherten haltlos. Die anderen schwiegen betreten. Sollten sie doch zusammen mit dem Häuptling ihren Mückenfreund beerdigen.

Bowling for Kolumbien (II)

Die Lösung

In einem improvisierten Reisebüro in der kolumbianischen Provinz erwarten uns ein Mitarbeiter sowie eine Mitarbeiterin. Wegen der Komplexität unseres Anliegens fragen wir die beiden, ob sie englisch sprächen.

Gleich meldet sich der Mann, um auf dem Prüfstand der Verständigung dann mit Bravour zu scheitern. Und das Problem versteht er schon mal gar nicht – Sprache hin oder her. Oder, wie der Didaktiker sagt: Er rafft halt nix. Das dünne Brett ist durch, nun gibt es hier nichts mehr für ihn zu tun. Nach nur wenigen Sekunden verlässt er entmutigt das Büro.

Also gut, dann eben auf Spanisch. Die Frauen müssen es richten. Meine Freundin und die Angestellte, bei der ich sehr schnell das Gefühl habe: Sie weiß, worum es geht und wird das irgendwie hinbekommen. Wahrscheinlich spricht sie so gut oder schlecht englisch wie ihr Kollege, deshalb behauptet sie es auch gar nicht erst.

Die Konstellation beobachte ich oft auf Reisen. Männer, die sich aufblasen und Frauen, die den Laden schmeißen und das beste aus zum Teil geringer Bildung machen. Die Männer aber sind wie Drohnen, weitgehend nutzlos und unbeweglich; reine Besamer, die sicher bald durch evolutionsbiologisch weitaus effektivere Apparaturen ersetzt werden. Das ohnehin stets ein wenig albern wirkende Konzept der Heterosexualität landet damit endgültig im Biomüll der Geschichte.

Diese Erkenntnis ist es, die mich mit einem Mal massiv frustriert. Denn ich bin selbst ein Teil des Phänomens, das eben nicht nur traditionellere Gesellschaften betrifft, sondern auch das scheinbar so moderne Mitteleuropa. In strukturschwachen Gebieten bleiben die jungen Männer zurück, die rundum den Anschluss verloren haben, während die jungen Frauen ihr Glück woanders suchen. Auch ich bin so ein Ochse, der keine Milch gibt. Ich steh hier ja bloß rum und gucke mir an der Wand die Fotos von den angebotenen Erlebnistouren an, die ich niemals machen werde, unflexibel, faul und mutlos.

Und auch hier sind wieder nur die Frauen mit der Lösung betraut. Der andere Typ kann kaum Englisch und ich kann kaum Spanisch. Nur das R kann ich besser rollen als meine Freundin, daher achte ich gewissenhaft darauf, dass der einzige Satz, den ich in ihrer Anwesenheit wie ein Mantra meiner Minderqualifikation herunterbete, auch genügend Rs enthält: „No entiendo mucho; la mujer habla mejor“ – nicht gerade eine abendfüllende Unterhaltung. Das ist alles so niederschmetternd.

Dabei soll es ja auch fähige Männer geben, sonst wären wohl kaum die meisten Autoren auf den Long Lists für die Buchpreise Männer, höhö, Tusch, Narrhallamarsch. Ausgerechnet Schriftsteller. Jedesmal, wenn die um eine Stellungnahme gebeten werden – egal zu welchem Thema: Politk, Kultur, Fußball, Religion – entpuppen sie sich als weltfremde Egozentriker. Zugute halten muss man ihnen, dass es selten ihrer eigenen Idee entspringt, über Dinge jenseits ihrer läppischen Inselbegabung Auskunft zu geben. Obwohl ihr Beruf sie mit weniger intellektuellem und moralischem Rüstzeug versieht als zum Beispiel Postboten, Piloten oder Prostituierte. Düster scheint die Ahnungslosigkeit in ihren toten Knopfaugen wider, während Blödes aus verkniffenen Mündern quillt wie eitel Exkrement aus runzeligem Rektum.

Und was ist mit den Erfindern und Wissenschaftlern: Einstein, Düsentrieb, Dr. Oetker? Klar die haben es drauf, obwohl sie ihre Baumwollsocken kochen. Doch für jeden nützlichen Schlaumeier, der die Glühbirne oder das Penicillin erfindet, hauen hundert Millionen Schwachköpfe sich und anderen den Schädel ein: beim sinnlosen Versuch, ungesichert eine Steilwand hochzuklettern; weil sie zwar ein Auto mit Bremse konstruiert haben, aber diese nicht benutzen; weil sie ihr Territorium unbedingt um ein wertloses Sumpfgebiet erweitern müssen. Da fragt man sich schon, ob das noch eine vertretbare Relation ist, umso mehr, weil die Glühbirne und das Penicillin früher oder später auch von einer Frau erfunden worden wäre, wenn man sie denn bloß gelassen hätte.

Damit sei es aber nun genug. Auf die Peische folgt das Zuckerbrot, auf die kostenlose Aufklärung der Bevölkerung die Lösung. Denn wir haben seine, sich geradezu HSV-mäßig aus gar nichts speisende, Hybris ja nur zerstört, um aus den Trümmern den neuen, besseren Mann entstehen zu lassen: Was also könnte man tun, um nach zehntausend Jahren der Verschwendung des Potentials einer Hälfte der Menschheit nun nicht auf einmal das der anderen Hälfte komplett in die Tonne zu treten? Das wäre zwar immerhin eine Abwechslung, aber unter dem Strich kein Fortschritt.

Zunächst muss man den im Licht der Einsicht aufkeimenden Minderwertigkeitskomplex behutsam wieder ersticken. Da können einfache Hilfsmittel erstaunliche Dienste leisten. So lässt uns ein präparierter Würfel mit sechs Augen auf jeder Seite immer eine Sechs würfeln. Erfolgserlebnisse wie dieses machen froh, erhöhen das Selbstbewusstsein und befördern eine emotionale Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Oder einfach mal ganz allein tief in den Wald gehen und dort laut „Scheiß-Weiber“ sagen. Fremdsprachen kann man dann noch immer lernen.

Mein Geschlechtsgenosse ist mittlerweile zurück. Wohl um zukünftigen Anforderungen gestärkt entgegenzublicken, hat er sich eine Tüte Maisfladen besorgt. Dümmlich kauend steht er im Eingangsbereich herum, ein Spiegel meiner eigenen Inferiorität.

Bowling for Kolumbien (I)

Die kleinen Punks

Auf der Straße zurück nach Santa Marta winken drei kleine Punks auf freier Strecke den Bus heran. Sie kommen vom nahegelegenen Hippiestrand. Der soll dem Vernehmen nach schon reichlich überlaufen sein. Deshalb waren wir da auch nicht.

Der Bus hält, sie steigen ein und kommen nach hinten in unsere Richtung. Zwei Mädchen, ein Junge, ihre Haut sieht schlimm aus – sind das noch Mückenstiche oder ist das schon Krätze? -, offensichtlich aus Deutschland. Dass sie uns keines Blickes würdigen, kann ich noch nachvollziehen: Da fährt man um die halbe Welt, bloß um dort auch noch auf Altnazis zu stoßen, oder für was sie uns halten – wir haben zwar keine Nadelstreifenanzüge an, sondern sind nach einem Monat selbst reichlich zerzaust; trotzdem geht das natürlich gar nicht – wie uncool ist das denn! Aber die eine schafft es, sich mit dem Rücken voran derart kunstlaufkürmäßig auf den Platz neben einen am Fenster sitzenden Einheimischen zu schrauben, dass sie ihn dazu keine Sekunde lang ansehen muss. Um über den Mittelgang hinweg weiter mit ihren Freunden zu quackeln.

Von meinem Platz aus sehe ich das Gesicht des Kolumbianers. Eine Beschreibung ist schwierig, deshalb komme ich gleich zur Analyse: Ein solcher Umgang stößt die Leute hier echt vor den Kopf. Hier nimmt man sich wahr, man guckt sich an, man lächelt, man sagt was kurzes, meinetwegen „que tal?“, wenn einem nichts anderes einfällt.

Sofort breche ich, feige schräg von hinten zischelnd, meinen Begleiterinnen gegenüber den Stab über den Neuankömmlingen: Wie scheiße die in meinen Augen wären. Und was die überhaupt hier wollten, wenn sie für Land und Leute keinerlei Respekt und Interesse aufbrächten? Das gleiche Kaliber in der Wortwahl würde in anderer Konstellation auch gut ins rechte Lager passen.

Sie hätte die zuerst auch doof gefunden, gibt I. später zu bedenken, im Nachinein sei sie aber eher fasziniert. Denn wir wären doch mal genau so gewesen. Ignorant und unbeschwert. Und damit hat sie natürlich recht. Klar, war ich in dem Alter selbst ein Arschloch. Mein lieber Schwan, was für ein Arschloch ich war! Allerdings hätten mich die anderen Leute dann eben auch als eins bezeichnet. So wie wir das heute tun. Und zwar völlig zu recht. Das ist nun mal der Lauf der Dinge.

Genau genommen war ich sogar ein noch zehnmal schlimmeres Arschloch als die. Im Vergleich zu mir damals, sind die kleinen Punks vermutlich geradezu brauchbare Mitglieder der Gesellschaft. Bestimmt sind sie auf eine diffuse Art links. Schätze ich mal. Links bringe ich immer mit sozial in Verbindung. „Refugees welcome“ und so. Das finde ich ja eigentlich gut.

Bloß was ich bei ihnen absolut nicht unter einen Hut bekomme: Wie schafft es jemand, Millionen Flüchtlinge wilkommen zu heißen, der noch nicht mal seine Nachbarn im Hausflur grüßen kann? Nur weil die anders sind, die blöden Spießer, von wegen alt und arbeiten und anders angezogen und so. Immerhin sind die Flüchtlinge ja oft sogar noch mehr anders als eben diese Nachbarn. Und anarchistisch syndikalistisch organisierte Feministen sind manche allenfalls im Ansatz. Ich schwör, kein Scheiß und völlig unpolemisch, ich frage wirklich aus echtem Interesse: Wie soll das gehen, wenn man so scheiße drauf ist? Ich frage, weil ich das nämlich auch von mir kenne, denn ich bin ja selbst nicht der herzlichste. Ich brauche meinen Abstand. Deshalb habe ich mich zwar dezent für Geflüchtete eingesetzt, aber dass einer bei mir wohnte, käme nicht in Frage. So richtig, Küsschen, da ist die Fernbedienung, das Bier ist in der Gemüseschublade, ich hab dir schon das Bett bezogen, herzlich willkommen? Nie im Leben. Wie also schaffen dann die kleinen Obermuffel diesen Mentalitätsspagat und wie lauten die Lügen, mit denen sie sich selbst überlisten? Oder gibt es dafür spezielle Drogen?

Vielleicht aber sagen sie ja auch deshalb „welcome“ und nicht „willkommen“, weil ihnen in der fremden Sprache der Widerspruch weniger auffällt. „Welcome“ ist für sie einfach nur wie so ein englischsprachiger Liedtext: man summt ihn halt mit, ohne ihn wirklich mit dem Verstand zu durchdringen.

In diesem urlaubstypischen Battle, wer das deutschere Arschloch ist, einigen wir uns schließlich darauf, dass wohl jedes Lebensalter seine jeweils eigene Form der Arschlochhaftigkeit besitzt. So ist ihre, dass sie in ihrer Selbstbesoffenheit sich alles in den eigenen Tellerrand hineinschwindeln, während wiederum unsere darin besteht, dass wir alles, was wir nicht sofort begreifen, in Schubladen sperren und die Schlüssel wegwerfen. Uns alle eint nur unsrere Arroganz. Sie sind böse, weil sie noch ganz weich und dumm im Kopf sind, wir sind in Bosheit erstarrt wie erkaltete Lava. Was ist schlimmer? Wir natürlich, denn sie sind formbar und können noch alles werden: weich und gut, hart und gut oder auch hart und böse. So wie wir.

 

Hunde, wollt ihr ewig schrubben?

Das Vorhaben, während des Urlaubs meinen Palazzo weiterzuvermieten, gestaltete sich erstaunlich schwierig. Schaffte es ein unaufmerksamer Bewerber an den eisernen Torwächtern meiner Wohnungsfotos vorbei, war dann doch spätestens bei der Besichtigung Schluss. Ein Kandidat stieß sich bei seiner überstürzten Flucht so übel den Kopf an, dass ich den Notarzt rufen musste. Eine Person aus meinem Umfeld brachte daraufhin das Wort „Sauberkeit“ ins Spiel.

Wieso sauber? Was meinte die Person? Um zu verstehen, guckte ich mir nun auch die Bilder zu den anderen Anzeigen an. In ziemlich leeren Zimmern in Mitte oder Pankow stand gleichgeschalteter Ikea-Barock herum – Möbel Höffner, Möbel Hütter, Möbel Hitler -, sonst fast nichts; ab und zu vielleicht noch eine Zierpflanze auf dem Tisch oder ein Zierbuch im Regal. Ich fühlte mich in die Lobby einer Hotelkettenfiliale à la McSleep, McStay oder Motel One versetzt. Auch das Fernsehen stellt seine Figuren gern in ähnliche Kulissen, wie es sich die Legebatterien seiner Gebührenzahler vorstellt. Und die würden ja völlig verstört, wenn sie mal eine Staubmaus sähen, und auf der Stelle den Sender wechseln. Schlecht fürs Geschäft.

Das war sicher nichts, wo man wohnen im Sinne von leben wollte. Doch dafür umso lieber wohnen im Sinne von vorübergehend untergebracht sein, ohne sich auf Schritt und Tritt fremde Fußnägel einzutreten, die aus den Ritzen grob gehauener Dielenbretter ragen – vielleicht würde ich das sogar selbst bevorzugen.

Und alles sah sehr sauber aus. Sauber, neu und aufgeräumt. Das sah ich wohl. Jene Wohnungen waren zwar teurer und so spannend wie Särge mit Südbalkon, doch sie gingen offensichtlich weg wie warme Semmeln. Dieselben Leute, die schreiend vor mir getürmt waren, nahmen solche Angebote anschließend mit Kusshand.

Die Person hatte also recht. Wollte ich eine reale Chance haben, müsste ich eine Charme-Offensive starten, meine persönliche „Operation Morgenluft.“ Ich würde mein Reich vorteilhafter präsentieren müssen. Aufräumen, putzen, reinigen. Eine Arbeit vermutlich von Wochen. Daher fing ich auch gleich an.

Das Konzept des Saubermachens erschloss sich mir nicht automatisch. Ich musste es mir erst mühsam erarbeiten. Zunächst checkte ich das Material: Unter einer dicken Schicht Spinnweben fand ich einen Eimer, darin verschiedene Plastikflaschen mit mutmaßlichem Saubermachzeug, das kombinierte ich mal einfach aus dem Kontext. Einen Staubsauger besaß ich ebenfalls. Das hatte ich nicht einmal gewusst, doch dann wies mich die Person auf den imposanten Miele-Masturbator neben meinem Bett hin: offensichtlich ein Multifunktionsgerät – verrückt, da benutzt man einen Gegenstand quasi täglich und kennt ihn überhaupt nicht richtig.

Aber es funktionierte. Ich saugte, wischte, fegte, schrubbte, räumte alten Kram beiseite, in den Keller, in den Müll oder dahin, wo er hingehörte. Fast machte es sogar Spaß. Und ich entdeckte ständig neue, überraschende Details. So hatte ich mich immer gewundert, warum die Leisten fleckig grau und die Türen braun gestrichen waren. Oder wieso der Fußboden im Flur scheinbar aus unbefestigter Erde bestand, während im Rest der Wohnung Holzdielen, Fliesen und Linoleum vorherrschten. Unter dem strengen Regiment meines Besens wechselten Schein und Sein nunmehr wie von Zauberhand die Seiten.

Dann ereilte mich jedoch der Downer. Nach etwa einer Woche bemerkte ich in einer Ecke des Wohnzimmers, das ich längst bearbeitet hatte, Staub. Auch das Glasbord im Bad, das ich doch blitzblank gewienert hatte, wies erneut Wasserflecken auf. Und wohin ich in den folgenden Tagen auch blickte, war es schon wieder dreckig. Es war ernüchternd. Das Saubermachen entpuppte sich rundum als Quatsch. Offensichtlich wurde alles ganz von selbst wieder schmutzig. Wozu hatte ich dann geputzt? Mit einem Mal kam ich mir unendlich lächerlich vor. Ich hätte mir die Aktion komplett sparen können. Den Tränen nahe verfluchte ich die Person, aber auch mich selbst, der ich ihr leichtgläubig auf den Leim gegangen war.

Sollte ich jetzt etwa wieder von vorn anfangen? Wie so ein Facility-Sysiphos bis in alle Ewigkeit Monat für Monat meine Wohnung reinigen, nur damit sie doch gleich wieder einsaut? Das wäre ja so als wenn man jeden Tag von neuem nett zur eigenen Frau sein müsste, obwohl man doch schon mit ihr zusammen ist. Wer macht denn so was? Das ist doch absurd. Sollen die Interessenten doch in die sterilen Fake-Buden jener untoten Pankower ziehen. Ich lass mich hier nicht weiter verarschen.