Ich gebe es zu. Ich backe jetzt Brot. Das ist der Offenbarungseid: Ich kann offiziell nichts mehr mit mir anfangen. Isolation, mangelnder Input und der Verlust gewohnter Rituale haben diesmal offenbar auch mich zermürbt.
Beim ersten Lockdown im Frühjahr war ich noch stark. Da hatte ich die Bekloppten für ihren Aktionismus ausgelacht. Brotbacken, zuhause, das muss man sich mal vorstellen! Donnerwetter, hatte ich gedacht: ein Virus, das anscheinend sogar ohne Infektion das Hirn zerstört!
Denn es war tragisch, mitanzusehen: Wie verzweifelt sie alle versuchten, ihre nun auf einmal so leer erscheinenden Leben mit absurden Fantasy-Inhalten zu füllen, um den Tagen wenigstens irgendeine Art von Struktur zu verleihen; wie Suchtkranke, die sich Haustiere anschaffen.
An den laufenden Kindern war mir der allgemeine Meltdown im vorigen März zuerst aufgefallen. Denn nicht nur, dass auf einmal alle ständig laufen gingen. Nein, neu war auch, dass man selbst Kinder, meist in Begleitung eines Elternteils, joggen sah – ein ähnlich skurriler Anblick wie Greise auf dem Skateboard. Spätestens da wusste ich, dass etwas nicht stimmte. Kinder haben nämlich ein exzellentes Gespür dafür, was dem gesunden Menschenverstand zuwiderläuft. Sie mögen weder Tee noch Kaffee, weil der bitter ist. Sie rauchen nicht, weil man davon husten muss. Sie trinken keinen Alkohol, weil man davon erst komisch wird und dann traurig und am Ende vollends verrückt. Sie hassen Gemüse, weil das nicht schmeckt. Und sie laufen schon gar nicht hohl im Kreis herum.
Doch die Erwachsenen rissen alle mit in den Wahnsinn. Sie putzten ihre Wohnungen, als ob die nicht Tage später wieder genau so dreckig sein würden. Sie spielten Schach im Internet, obwohl sie gar nicht spielen konnten. Sie machten Homeyoga mit Mady Morrison. Sie gingen jeden Tag spazieren, was sie noch nie zuvor getan hatten. Und sie joggten, wie gesagt.
Vor allem aber buken sie Brot – eine Imperfektform, die ich nicht aussprechen kann, ohne dabei den kleinen Finger abzuspreizen. Sie buken Brot, obwohl der Bäcker aufhatte. Dort gab es Brot. Man konnte es kaufen. Das war auch nicht verboten. Der Bäcker buk gutes Brot, er hatte das gelernt. Und er hätte gern welches verkauft, anstatt es jeden Abend wegzuschmeißen, weil die gelangweilten Idioten ihr eigenes Brot buken. Stattdessen ging er pleite wie so viele andere Läden, nur eben völlig sinnlos, da er ja aufmachen durfte.
Überall war Trockenhefe alle. Wie das Klopapier, wie die Nudeln. Und im Netz jammerten die Leute: „Die Trockenhefe ist alle. Wer hat noch Trockenhefe? Was ist mit Ebay? Wer geht mit plündern?“ Damals hatte ich es nicht verstanden. Klar, das mit den Nudeln und dem Klopapier schon, aber Trockenhefe? Was ist Trockenhefe, hatte ich mich gefragt. Wer braucht das? Und um Gottes Willen wozu?
Jetzt bin ich schlauer. Während im Laptop – „Hallo, ihr Lieben“ – Yoga mit Mady Morrison läuft, mische ich einen viertel Teelöffel Trockenhefe mit Mehl, Salz und Wasser, und forme alles zu einer Masse. Über der Anrichte spiegelt sich in den Kacheln mein Gesicht. Ich sehe blöde aus. Kein Wunder, ich bin offenbar blöde geworden. Ein grunzendes Backschwein, dem sich der klebrige Teig wie beigefarbener Kot von den Fingern zieht. Dabei hat doch dort draußen noch immer der Bäcker auf. Meine Güte, was für ein erbärmliches Lockdownopfer ich geworden bin!
Morgen schöpfe ich dann mein eigenes Klopapier aus Holzresten. Ich mache Nudeln aus meinen Popeln und Honig aus dem Ficus Benjamini: Tanzen, Sammeln, Schleudern – das ganze Programm.