„To-käh! To-käh!“, schreit es in der Nacht, als wir schon längst zu Bett gegangen sind.
Wer da brüllt, ist Ulf. So haben wir den vermeintlichen „Riesengecko“ genannt, der Abend für Abend hinter dem Sofa auf der Terrasse unserer Ferienunterkunft an der Wand klebt, während wir davor sitzen. Ulla, Uli und Ulf. Wir drei, Freunde in der Fremde, und frei nach Andy Möller: „Ob Thailand oder Madrid – Hauptsache Italien.“
Eine Bildersuche ergab allerdings, dass Ulf eigentlich ein Tokeh ist, der „alles frisst, was er überwältigen kann.“ (Wikipedia) Wer von dem Aggrovieh gebissen wird, so der Rat im Internet, solle sich nicht wehren. Dann würde der Tokeh irgendwann loslassen, eventuell. Seitdem sitzen wir dort stets ein bisschen wie auf Kohlen. Ihm das Möbel ganz zu überlassen, kommt für uns bislang noch nicht in Frage.
Doch der Nervenkitzel lohnt sich: „Drei Grad minus, gefühlt sieben Grad unter Null“, lesen wir aus Berlin. Das hört man gern. Wir posten Bilder von Ulf, und von exotischen Biermarken, mit Palmen und Meer und Sonnenuntergang als Hintergrund. Die Motive gleichen Fototapeten in Jugendzimmern der 1980er Jahre, minus das Bier. Das hat nur den einen Zweck, Hass, Zwietracht und Neid unter den Daheimgeblieben zu schüren. Wer Friends wie uns hat, braucht jedenfalls keine Enemies mehr.
Von unserer Terrasse aus sehen wir eine Gruppe hässlicher alter Menschen durch die Anlage gehen, hoffentlich bleiben die nicht, die spiegeln uns zu sehr. Wir erfreuen uns lieber täglich an den Jungen und Schönen hier: die Typen alle so braungebrannte, superakzentuierte Muckitröten; die Frauen durch die Bank normgestreamlint, als ob es dafür jetzt irgendwo eine Orkfabrik gäbe. Und dann eben wir. Die Ökonische für die schrulligen Alterchen mit ihrem creepy Hausdrachen, die immer so früh schlafen gehen, ist mit uns bereits besetzt. Haut ab, ihr Krepel. Danke.
Ulf sieht die Konkurrenten nicht; er klebt wie immer hinterm Sofa. Dafür ist im Bad jetzt Uwe unterwegs, eine gigantische Kakerlake, die nicht mal abhaut, wenn man kommt und Licht macht, wie Schaben das normalerweise tun. Nein, ich muss zur Seite treten. Nicht zufällig haben wir für beide Männernamen gewählt: dumm, groß, stark und grundlos selbstbewusst – das haben Ulf und Uwe gemein. Sie machen keinen Platz, ihnen wird Platz gemacht, wie man das sonst eher von Elefanten, Nashörnern oder Frauen (sic!) mit Kinderwagen kennt.
Am „Hidden Beach“ soll es heute eine Party geben. Gut zu wissen, dann gehen wir da nicht aus Versehen hin. Sollen sich dort ruhig die Jungen und Schönen verausgaben. Wenn die das brauchen, bitte. Für Rambazamba à la Berlin sind wir nicht nach Thailand gebrummt. Wir gehen hier früh zu Bett und stehen früh wieder auf. Das ist für uns Urlaub. Wir vermissen ja auch keine Crackraucher im Hauseingang, Currywurst oder Shopping Malls mit H & M.
Aus gutem Grund. Denn mittlerweile erreichen uns nur noch absurd klingende Nachrichten aus einer jetzt schon längst entfremdeten Welt: David Lynch ist tot; Hitler soll ein Linker sein, dafür sind in den USA endgültig alle Nazis geworden; Kai Wegner will in Berlin aus Kostengründen eigenhändig alle Zootiere töten.
Apropos. Jetzt haben wir Ulf schon zwei Tage nicht mehr gesehen. Vielleicht sucht er sich woanders leichtere Beute, die nicht so laut schreit, und die er nicht erst mühsam in tausend Stücke zerteilen muss; vielleicht haben wir ihn auch durch unsere relative Furchtlosigkeit zermürbt. Oder er ist beleidigt, weil wir ihn ständig über Social Media dissen, und nun sogar in diesem Blök. In Wahrheit ist er nämlich voll sensibel.