Der Mann bin ich

Sie ermöglicht mir bewusst mein prätentiöses Hobby, das mich ausfüllt und verlässlich von der Straße holt.

Wir haben vor zweieinhalb Jahren geheiratet. Für den systemkonformen Akt belohnt uns der liebe Gott nun auch noch mit dem steuerlichen Ehegattensplitting, das wir im Grunde politisch beide ablehnen. Kein Wunder, dass so viele Nazis heiraten. Aber wir wollten uns den Fun einfach nicht entgehen lassen, uns eines Tages gegenseitig die lebenserhaltenden Apparaturen abzuschalten. Das war der eigentliche Plan.

Wie alle klugen Paare ohne Kinder, die sich ihre Zuneigung für einander erhalten wollen, haben wir dafür die geeigneten logistischen Voraussetzungen geschaffen, und weiterhin jeweils eine eigene Wohnung. So wurde das Ergebnis unserer ersten gemeinsamen Steuererklärung dann an meine Adresse geschickt. Auch ihre ganz persönlichen Papiere. In meine Obhut, unter meine Kontrolle. Einfach so, ungefragt, denn ich bin der Mann. Deutschland im Jahre 2020.

Nun könnte man denken, dass mich so etwas wenig jucken sollte, denn in meinem Alter verfügt man automatisch über Unmengen sexistischer Reflexe, ob man will oder nicht. Ich möchte hier keine Beispiele nennen – ich lasse mir ja auch nicht beim Scheißen zugucken. Trotzdem überrascht selbst mich das Ausmaß des zivilisatorischen Stillstands im „modernen Mitteleuropa“ des dritten Jahrtausends noch immer stets aufs Neue.

Der Treppenwitz dieses emanzipatorischen Mittelalterspektakels: Was das Steueraufkommen betrifft – und daran bemisst unser Staat nun mal den gesellschaftlichen Wert des Menschen –, bin ich gerade mal der fiskalische Wurmfortsatz meiner mächtigen Ehefrau, eingemeindet, geschluckt, annektiert, kolonialisiert von einer relativen Steuer- und Finanzgigantin. Sie ist Berlin, ich bin Kleinmachnow; sie ist der Igel, ich bin der Floh; sie ist die Wurst, ich bin der Senf. Doch der Senf bekommt den Steuerbescheid, denn der Senf ist ein Er, egal was die Wurst verdient.

Manchmal kauft die Wurst dem Senf, der Drohne, der Drohne aus Senf was Feines zum Anziehen. Das macht ihr Spaß. Ich habe mehr Klamotten als eine Diktatorengattin, obwohl ich mich gerade einmal selbst ernähren kann. Denn ich „mache Kunst“, wie ich das Erbrechen verdorbener Buchstabensuppe in meist angetrunkenem Zustand zu nennen pflege, während sie arbeitet. Dennoch bin ich für die Behörden der große Zampano, der Gebieter, der Befugte, der Mann. Ugga-ugga. Bei einem Finanzamt, das derart vorsintflutlich tickt, könnte man sicher auch Höhlenmalereien als Büroausstattung absetzen sowie die Bewirtungskosten rund um eine Hexenverbrennung geltend machen. Doch meine Frau lacht nur drüber. Sie ermöglicht mir bewusst mein prätentiöses Hobby, das mich ausfüllt und verlässlich von der Straße holt.

„Na, Mausi, zeigen wir es den Dummen da draußen mal wieder so richtig?“, fragt sie, während sie mir wohlwollend über die Schulter und auf meinen Laptop blickt, wo ich, die Zunge vor Eifer spitz im Mundwinkel, eine meiner neunmalklugen Polemiken zweifingrig in die Tastatur hacke. Sie ist ein bisschen gerührt: Wie vollkommen den kleinen Ehegatten doch sein drolliges Tun absorbiert! Wenn er sich gebraucht und wichtig fühlt, wäscht er sich öfter, weint weniger und steht früher auf. Und wie seine Äuglein glänzen, wenn er dann stolz berichtet, dass er „schon wieder einen wütenden Leserbrief von so nem humorlosen Schwachmaten gekriegt“ hat …

Ich soll mich ruhig verwirklichen, im Rahmen meiner Möglichkeiten. Es ist ein bisschen wie in einem Salon bei Jane Austen, wenn Lord Wichtig zwei Sekunden lang die eitle Stickerei der Lady bewundert, bloß eben mit vertauschten Rollen. Hinter jeder starken Frau steht ein schwacher Mann. Ich muss einfach nur schön sein. Und ihren Namen mit an meinen Briefkasten kleben, für die Post vom Amt.

Gefahr aus dem Osten

M wie Mörder.

Wie jeden Donnerstagabend sitze ich nach der Probe noch mit den Leuten aus meiner Volkstanzgruppe bei einer gemütlichen Tasse Tee zusammen. Es ist mild für die Jahreszeit, so dass wir noch draußen unter der Linde vor der Tanzgarage Wilmersdorf sitzen können.

Da krabbelt auf einmal ein Marienkäfer zwischen den Tassen herum. „Oh“ und „Ah“ machen die Tanzfreunde. Sie freuen sich offensichtlich über das angebliche Glückstier, sie finden es niedlich.

„Der ist nicht süß“, fauche ich, „sind euch unsere Marienkäfer denn völlig egal? Was seid ihr bloß für Menschen? Macht den sofort tot!“

„Wieso denn?“ Einige lachen, obwohl ich dafür bekannt bin, keine Witze zu machen; andere wirken bestürzt.

„Fieso denn?“ Ich äffe Sie nach. Sind die echt so ahnungslos wie sie tun? Mühsam beherrscht bereite ich für sie die Fakten auf: Das hier ist ein asiatischer Marienkäfer. Ein Eindringling, ein Neozoon wie die grauen Eichhörnchen, die unsere roten aus dem Park mobben; die Waschbären, die unseren Dachs mit Frechheiten vergrämen; die amerikanischen Sumpfkrebse, die vom Berliner Tiergarten aus einen Siegeszug durch sämtliche Gewässer der Stadt antreten, bis sie in jedem Glas Wasser herumschwimmen und die Durstigen in die Nasen kneifen.

„Dieser Käfer hat klare Auslesevorteile gegenüber den autochthonen Arten: Zweipunkt-Marienkäfer, Siebenpunkt-Marienkäfer, Vierundzwanzigpunkt-Marienkäfer: uralte deutsche Marienkäferarten, wie man bereits am Namen hört. Und hier der asiatische: Die auffällige Zeichnung auf dem Halsschild wie ein großes M – M wie Mörder –, und eins, zwei, drei, vier … neunzehn Punkte. Das ist der Beweis! Die asiatischen Marienkäfer verdrängen erst unsere kleinen Freunde und zerstören dann die gesamte Flora und Fauna. Da lebt hinterher gar nichts mehr. Wie auf La Palma. Ihr kennt doch die Bilder …“

Die Tanzbrüder staunen. Doch die Belehrung scheint zu fruchten. Ihr Blick auf den Marienkäfer ist nunmehr frei von Sympathie. Der Tee macht fröhlich, ich stimme ein Lied an: „Deutscher Baum und deutsches Tier – schwarz-rot-gold, ich steh zu dir …!“

Ich erhebe mich, um mir drinnen einen neuen Jasmintee zu holen und bei der Gelegenheit auch drei wegzubringen. „Wenn ich zurück bin, ist das Vieh weg“, sage ich nicht ohne Schärfe. Anders geht es nicht. Auch mir macht es keinen Spaß, ein Tier zu töten. Aber es muss sein. „Für die heimische Tierwelt!“ Dann gehe ich hinein.

Die machen das schon. Dabei setze ich vor allem auf den einen Tanzkameraden, der immer über „Rassismus und Sexismus gegen weiße Männer“ klagt. Wer derart engagiert für die unterdrückte Kreatur unterwegs ist, wird sich auch für andere bedrohte Arten einsetzen, deren ökologische Nische schwindet, weil die Evolution ihnen eine lange Nase dreht. Das wäre nur konsequent. In ihm weiß ich einen verlässlichen Verbündeten gegen alle invasiven, volksfeindlichen und widernatürlichen Einflüsse wie Feministinnen, Transsexuelle und Asiatische Marienkäfer auf meiner Seite.

Exakt so funktioniert der intellektuelle Faschismus: Aggressive Abschottung predigen, obwohl man es im Grunde besser weiß. Denn die robusteren asiatischen Marienkäfer sind für die Bekämpfung von Schadläusen tatsächlich weit geeigneter als unsere sensiblen Käferchen. Der neutralen Natur ist es eh wumpe, welche Punkt-, Haar- oder Augenfarbe die Marienkäferin hat, die mit dem Schutz ihrer Pflanzenwelt betraut ist. Und letztlich profitiert ja auch der deutsche Halm davon, wenn ihn im Alter ein asiatischer Marienkäfer pflegt. Vielleicht verspürt der alte Lauch am Ende doch noch etwas Dankbarkeit.

„Der ist nicht süß!“