El Fisch
Am Strand von Palomino liegt einer dieser welsartigen Fische, die hier gern auf den Tisch kommen. Bestimmt zwanzig Meter von der Wasserlinie entfernt liegt er einfach da im Sand und schnappt mühsam nach Luft. Er lebt also noch. Fragt sich nur, wie lange noch. Auch seine Rückenflosse ist verletzt. Es muss schnell gehen. Zu dritt beratschlagen wir, meine beiden Reisebegleiterinnen und ich, und treffen eine Entscheidung. Sie sind das Hirn dieses Beschlusses, ich bin die Hand.
Am Strand von Palomino.
Die Frauen streiten das ja mittlerweile alles ab. Aber es kann gar nicht anders gewesen sein. Frauen haben ja oft so konstruktive und lebensbejahende Einfälle. (Zu einer bunten Sammlung weiterer Geschlechterstereotypen aus dem Mustopf bitte hier, hier, hier und hier entlang >) Der Mann will immer jagen, töten und fressen (wenn er nicht grad ficken oder sich mit seinen Kameraden im Dreck balgen möchte). Wenn ich allein daran denke, wie viele von diesen Fischen ich in diesem Urlaub schon verputzt habe, gebraten, gedünstet, frittiert und mit kreolischer Soße. Jamjam.
Dazu fallen mir auch die ganzen kleinen Schweinchen ein, die hier überall herumlaufen, und die ich in Massen fotografiert, gestreichelt und mit spitzen Gottele-nein-wie-putzig-Schreien bedacht habe. Wenn das meine Dreckbalgkameraden hören, bin ich als Mann für sie verbrannt. Vor allem aber ist mein Verhalten völlig bigott eingedenk der zahllosen Schweine, die ich mir zuhause im Akkord reinpfeife; Schweine, die so unglücklich sind, dass man zur Zubereitung kein Salz mehr braucht, so vollgesogen mit ihren Tränen ist das Fleisch.
Gottele, nein wie putzig.
Und jetzt plötzlich will ich diesen einen Fisch retten, weil ich zu ihm so eine Art persönliches Verhältnis aufgebaut habe, und weil, dessen bin ich mir nach wie vor sicher, die Frauen mich dazu angestachelt haben. Ich bin ein romantischer Retter. Bestimmt bekomme ich zur Belohnung für meine Heldentat ein Küsschen. Ohnehin verrichte ich seit jeher, was mir aufgetragen wird – mein schwaches Rückgrat wird durch stützende Fremdvorschläge so gerade noch zusammengehalten.
Ein bisschen bin ich wie die Unterstützer des Hundes Chico, der in Hannover seine Herrchen aufgefressen hat. Nun soll Chico leben. Dafür gibt es Demonstrationen und hunderttausende Unterschriften. Für einen verhaltensgestörten Mörder in einer menschlichen Todeszelle würden die noblen Aktivisten keinen Finger rühren. Da warten ja auch nur Ausländer auf den Tod und kein deutscher Hund. Der ist das Symbol ihrer „Tierliebe“, so wie bei mir nun eben dieser Fisch. Ich bin genauso ein Arschloch. Aber egal, ich nehme jetzt den Fisch und bringe ihn zurück ins Wasser. Außerdem haben die Frauen das gesagt. Ich hab das schriftlich. Hier, hier steht es doch.
Platsch.
Kurz befürchte ich, dass die starke Brandung das geschwächte Tier zurück an den Strand spült, aber irgendwie kämpft es sich durch. Geschafft. Als ich zu meinen mutmaßlichen Auftraggeberinnen zurückwill, ist mir ein Mann im Weg. Bislang ist der mir gar nicht aufgefallen. Kein Wunder, steht er doch einfach nur reglos da und hält eine gepannte Neylonschnur ins Meer.
„Veinte mil“, sagt der Mann zu mir, „zwanzigtausend.“ Sonst nichts. Deshalb verstehe ich ihn auch. O ja, ich verstehe ihn sehr gut. So gut verstehe ich ihn, dass ich mich sogleich zurück ans Wasser begebe und, hüfttief in der Brandung stehend, mit beiden Händen die Karibik nach dem Fisch durchwühle. Das ist weder von der Idee her konsequent noch zielführend. Um es kurz zu machen: Ich werde des Fisches nicht mehr habhaft.
Mit leeren Händen kehre ich in der Absicht zurück, hart zu verhandeln. Für zwanzigtausend kolumbianische Pesos kriegt man schließlich schon das fertige Gericht mit allem Drum und Dran. Allerdings feilsche ich nicht lange. Denn der auf einmal doch recht gesprächige Mann erzählt, wenn ich das recht verstehe, von einer Art Bringschuld an eine gewisse „Doña“, die einen Fisch von ihm erwarte. Also habe er einen gefangen. Nun sei da aber leider kein Fisch mehr. Und eine Doña ist heiklerweise nicht nur irgendeine Frau, sondern eine Dame, eine Herrin, das weibliche Gegenstück zum „Padron“, womöglich seine persönliche Chefin, eventuell auch die Besitzerin eines von ihm zu beliefernden Restaurants, eine ernste Sache jedenfalls, das verstehe ich völlig; wer sonst, wenn nicht ich. Immerhin habe ich ja seinen Fisch ins Meer geschmissen. Ich gebe ihm sein Geld. Zum Glück hab ich’s klein – das ist hier ja auch immer so’n Problem.
Die Weiber lachen. Auf einmal behaupten sie, das sei alles völlig klar gewesen: Wie denn der Fisch da sonst hätte hinkommen sollen, ohne Beine, und es sei komplett meine eigene Entscheidung gewesen, die ich auch noch gegen ihren ausdrücklichen Rat getroffen hätte.
Im Nachhinein bin ich mir sicher, dass das Ganze eine Masche ist. Der Typ pfeffert seinen Fang jedes Mal lebend in den Sand, anstatt ihn in einem Wassereimer frisch zu halten. Damit man ihm den Fisch nicht zuordnen kann. Zusätzlich stellt er sich extra weit weg und beobachtet aus dem Augenwinkel, wann wieder so ein argloser Tourist vorbeikommt. Wenn er Glück hat, kann er mit einem einzigen Fisch am Tag mehrere Idioten fangen – vom Verkauf der Tiere allein kann keiner leben. Er hat ihm eigens eine Verletzung an der Rückenflosse zugefügt. Mit der verminderten Steuerfähigkeit schafft er es nie weit weg und beißt immer wieder an.
Sie sind ein eingespieltes Team, auch wenn nicht beide mit demselben Elan bei der Sache sein dürften: Sobald sie jemanden wie mich von weitem näherkommen sehen, denkt der Mann „si, si, por favor!“ und der Fisch „no, no, por favor no!!“ Rein, raus, rein raus – das ist ein irrer Stress für ihn, schon rein nervlich, bloß damit er am Ende doch gefressen wird.