Solange man ihn auch hinauszögert, kommt irgendwann doch der Moment, an dem man sich eingestehen muss, dass hochfliegende Pläne gescheitert sind. Im Großen können das Konzepte sein wie Demokratie, Religion oder ein 3-5-2 mit weit vorgezogenen Außenverteidigern. Im Kleinen ist es die Einsicht, dass der, unter Navigation einer falschen Idee von sich selbst eingeschlagene, Weg in eine Sackgasse führt. Das bisherige Leben: ein Irrtum. Ein radikaler Schnitt muss her.
Was mich betrifft, möchte ich in Zukunft einem geregelten Broterwerb nachgehen und mich von der Schnapsidee des bezahlten Autorenberufes endgültig verabschieden. Endlich Schluss mit den mühseligen Versuchen, die fauligen Früchte eigener „Geistestätigkeit“ Subjekten anzudrehen, die sie offenkundig weder wollen noch brauchen. Der Betrug ist eh längst aufgeflogen. Wer ein Buch gekauft hatte, warnte die anderen wie ein Murmeltier. Eine letztlich bescheidene Inselbegabung in einem Meer aus Emotionsarmut und Lustlosigkeit taugt vielleicht zum Hobby, aber nicht zum Beruf.
Erschreckend, aber auch ein wenig niedlich, welch große Hoffnungen vergleichbar Veranlagte sich dennoch weiterhin machen. Sie denken wohl, dass alles besser wird: sie, ihre Fähigkeiten, die Umstände. Den Zahn kann ich ihnen ziehen, und zwar mit der ganz großen Zange: Nichts wird jemals besser werden. Warum sollte es das auch? Das Talent kennt nur eine Marschrichtung und die lautet: bergab. Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr; wer jetzt zu doof ist, wird es immer bleiben … optimism is just another word for nothing left to lose. Aber gut, das soll mein Problem nicht sein. Ich wünsche ihnen aufrichtig Glück – das ist neben mangelnder Selbsteinschätzung in der Branche ohnehin das Wichtigste.
Lamento bringt nichts – schließlich lebst du nicht dein Leben, dein Leben lebt dich. Nun gilt es, nach vorne zu blicken und sich nach Alternativen umzusehen. So weit möglich, die Folgen ungünstiger Lebensentscheidungen auszubügeln. In bescheidenem Rahmen, denn studieren werde ich garantiert nicht mehr: Ich kann mir nichts mehr merken und nicht lange still sitzen. Ich muss ja ständig nur aufs Klo.
Also einfach nur so eine Art stinknormale, ehrliche Erwachsenenarbeit. Das ist die Lösung. Das ist, was bleibt. Nicht zu anspruchsvoll. 9 to 5, 5 of 7. 8/5? Morgens hin mit einer Tupperdose voll geschälter Möhrchen. Klapper, klapper. Nach Feierabend mit leerer Dose zurück. Leise, leise. Ich bin rechtschaffen müde. Ein guter Film im ZDF, ein halbes Bier. Schnappverschluss. Schlaf der Gerechten. Und alles wieder von vorn. Morgens, Möhrchen, Müde. Ein monatlicher Gehaltsscheck von sagen wir zwölfhundertfünfzig netto reicht mir völlig, ein Traum.
Nach meinen, zugegebenermaßen nicht sehr fundierten Kenntnissen, gibt es für mich nunmehr noch genau zwei Möglichkeiten: zum einen irgendwas mit schwer Schleppen von schmutzigen Sachen und zum anderen ein Büro. Das Schleppen kommt nicht in Frage, wegen Alter und Rücken. Nicht so richtig Bock auch. Also bleibt nur das Büro.
Aber was macht man da überhaupt, in so’nem Büro? Ich kenn zwar Leute, die dort arbeiten, doch wirklich verstanden habe ich es nie. Na gut, kann auch sein, dass ich nicht richtig hingehört habe, denn das klang in meinen Ohren alles sehr, sehr langweilig. Und wo ist das Büro überhaupt, wo muss ich denn da hingehen und muss ich mich da bewerben oder darf da jeder gleich anfangen? Bekomme ich da dann ein Zimmer oder einen Schreibtisch und kriege ich einen Stuhl oder muss man den selber mitbringen oder muss ich vielleicht sogar die ganze Zeit über stehen? Das wäre hart. Aber vielleicht bekomme ich einen Locher. Wimpf, wimpf, wimpf! Das macht Spaß. Ein Locher wäre toll. Und Buntstifte.
Die anderen Leute im Büro sind mir unheimlich. Die „Kollegen“ kriegen doch gleich raus, das mit mir was nicht stimmt, und dass ich eigentlich wahnsinnige Angst habe vor ihnen und der Arbeit und davor, dass das Telefon klingelt und ich nicht weiß, was ich dann sagen soll, und überhaupt vor der ganzen Situation. Dass das alles für mich das erste Mal ist. Dass ich keine Ahnung habe, wie ich mich verhalten soll. Muss ich da jedes Mal „guten Morgen“ sagen, wenn ich das Büro betrete, oder irgendeine andere Feel Good Emotion faken? Und später noch mehr mit ihnen reden, in der Kantine, auf dem Gang, auf dem Scheißhaus? O Gott, über was denn? Ich kenn die doch gar nicht und will sie auch nicht kennenlernen. Und muss man dann bei der Weihnachtsfeier wirklich immer mit allen Sex haben? Ein bisschen eklig ist das ja schon. Ich glaube nicht, dass ich das möchte, und ich kann mich auch nicht so gut verstellen und immer freundlich mit dem Schwanz wedeln. Aber ich könnte stattdessen ja was malen, mit den Buntstiften.
Bestimmt hefte ich alles falsch ab. Wird mir das denn jemand erklären? Oder, genauso tückisch, man muss gar nichts abheften, aber ich hefte trotzdem ständig alles ab, weil ich das mal in einem Film gesehen habe, in dem ein Büro drin vorkam. Eine Katastrophe. Und was ist mit dem Kaffee: Kriegt man den umsonst oder nur bis zu einer bestimmten Menge oder muss man den bezahlen? Und wenn, wieviel und wo und wann? Muss man sich den selber holen oder wird der an den Tisch gebracht? Hab ich überhaupt einen Tisch oder muss ich stehen? Ich glaube, ich dreh mich grad im Kreis.
Erschwerend kommt hinzu, dass ich für den regulären Arbeitsmarkt sowieso verbrannt sein dürfte. Denn natürlich habe ich früher eine Menge Scheißjobs gemacht, aber entweder konnte ich bald wieder gehen oder war zumindest scheinselbständig. Ich schätze, ich bin einfach nicht mehr integrierbar. Ich will niemanden, der mir sagt, was ich zu tun habe. Umgekehrt will ich auch niemandem vorschreiben, was sie oder er zu tun hat. Das ist doch Schwachsinn. Der Locher macht das dann auch nicht wett.