An der Kasse geht es ums Verrecken nicht weiter. Ist da vorne was passiert?
Und dann sehe ich es: ein Bübchen in der Kassenbox, dem eine gestrenge Kollegin über die Schulter blickt, während er die Waren so zaghaft über den Scanner zieht, als könnten sie jeden Moment explodieren. Oh nein, Lernkasse! Der Schienenersatzverkehr unter den Supermarktkassensituationen.
Warum wieder ich? Kunden sind doch keine Versuchskaninchen. Und warum hassen sie uns so? Wir bringen ihnen doch Geld. Wieso üben sie nicht im Nebenraum, mit Kundenstatisten und Spielgeld, oder nach Feierabend die ganze Nacht an der echten Kasse. Am zweckmäßigsten aber wäre wohl so ein Simulator wie zur Pilotenausbildung. Man probt ja auch keinen doppelten Triebwerksausfall am lebenden Passagier.
Am Computer könnten die kommenden Kassenkräfte mithilfe hochmoderner Full Reality Grafiken schwer beherrschbare Ausnahmesituationen trainieren, wie das allseits gefürchtete Storno oder eine Riesentüte mit zehn verschiedenen Brötchensorten, die man durchs schmale Sichtfenster korrekt bestimmen und einzeln eingeben muss. Mit Scannen ist da nix – das ist archaischer Kopf- und Handbetrieb, fast wie bei Neandertalern, die Feuersteine gegen Fallobst tauschten.
Mann! Muss ich jetzt hierbleiben, oder darf ich meine Sachen vom Band zurück in den Korb räumen und passiv aggressiv „tja, hier scheint es ja leider nicht weiterzugehen“ flötend zur Nebenkasse gehen? „Vielleicht kommen die Kollegen ja mit ihrem Job zurecht.“
Aber das wäre dumm und ungerecht. Lieber fasse ich mich in Geduld. Der Arme muss hier schuften. Ich weiß doch gar nicht mehr richtig, wie das geht und vor allem wie scheiße das ist. Natürlich hab ich auch mal gearbeitet. Getreide geschippt im Spandauer Hafen, achtzig Kilo schwere Kakaosäcke geschleppt in der Lagerhalle. Westberliner Senatsreserve. So lange her ist das. Zum Glück.
„Was? Achtzigkilosäcke, du halbes Huhn, du Sesselpuper?“, mag jetzt mancher lästern. Der Trick ist jedoch simpel: Die Last tragen vor allem die Beine und der Rücken; die Arme balancieren sie nur. Der Sack läuft oben vom Fließband auf die Schultern, die Hände zuppeln ihn zurecht, und die Beine tragen ihn zum Bestimmungsort, wo man den Sack seitlich heruntergleiten lässt. Ganz easy. Bloß stolpern sollte man nicht.
Das klingt wie die Erinnerungen eines Kriegsveteranen, der dann die restlichen fünfzig Jahre seines Lebens nur noch die Beine hochlegt. Und wer was dagegen sagt, bekommt halt das Totschlagargument Stalingrad respektive Spandauer Hafen serviert: „Ich hab schon was geleistet, vor fünfzig Jahren, das muss reichen.“
Arbeiten ist jetzt einfach nicht so super mein Ding. Das muss ich hier mal ganz klar feststellen. Der Weg des geringsten Widerstands führt zur (Klein-)Kunst – ich bin ihn gegangen. Jegliche Ehrfurcht vor dem Künstler ist unangebracht, sein Gejammer erbärmlich und durchschaubar: die Schreibblockade, die Denkblockade, die Darmblockade, die Scheißblockade. Wie er leide, wie er sich, seiner Muse, den Drogen, Gott, dem Teufel mühselig eine Eingebung abringe. Armut, Ängste, Zweifel, Gegenwind – eine einzige Qual. „Och Gottchen, wenn das so schlimm ist, dann geh halt arbeiten“, möchte man entgegnen.
Doch dazu bin ich schlicht zu faul. Sogar eine Autorin wie Juli Zeh spricht im Interview von ihrem schlechten Gewissen, da sie „nur eine Stunde am Tag“ arbeite. Ich arbeite gar nicht. Ich habe unendlichen Spaß. Das mindeste wäre da ein wenig Respekt vor den Leuten, die noch arbeiten; Respekt auch vor denen, die das erst noch lernen. Ich selbst hab da ja überhaupt keinen Bock mehr drauf.